Der Fürstabt von St. Blasien

Die Schwarzwaldgemeinde St. Blasien ehrt regelmäßig den berühmtesten Fürsten und Abt seines Klosters, Martin Gerbert, der 1720 geboren wurde und 1793 starb. So sehr interessierte er mich doch nicht, auch wenn das Buch über ihn schön gemacht war; doch dann sprang mir eine Stelle ins Auge, die mich nicht ruhen ließ. Das willst du aufgreifen und anprangern, dachte ich mir. 

Anprangern heißt: an den Pranger stellen. Früher mussten Verbrecher öffentlich auf einem Gerüst stehen und wurden so vor aller Augen gedemütigt. Deshalb sagt man auch: Die Inschrift prangt an dem Kaufhaus.

DSCN2239Gerberts Vater war ein angesehener Bürger der Stadt Horb am Neckar. Der Junge war begabt, entschied sich für das Kloster St. Blasien, nahm mit 17 das Münchsgewand und wurde mit 24 Jahren zum Priester geweiht. Martin Gerbert lehrte bald an der Gelehrtenakademie Philosophie und Theologie und bekleidete obendrein das Amt des Klosterbibliothkars. Mit 40 Jahren bekam er frei und konnte ausgedehnte Reisen unternehmen (bis nach Rom), vor allem, um ein Werk über die Musik in der alten Liturgie zu verfassen. Er war kaum zurückgekehrt, da starb sein Gönner Fürstabt Meinrad, und Martin Gerbert folgte ihm 1764 im Alter von 45 Jahren als Martin II. nach. (Rechts: Decke des Münsters von 1783)

Leider brannte am 23. Juli 1768 Kloster samt Kirche ab, und nichts konnte gerettet werden. Solche Brände fangen meist in der Küche an, und in St. Blasien war es auch so. Der Abt schickte seine Mönche in andere Klöster und plante den Neuaufbau. 1783 dann wurden die Bauten mit einer Festwoche eingeweiht, zu der kam, was Rang und Namen hatte, aber auch ein paar Einwohner. Woher kam das Geld? Die Klöster waren reich und halfen sich vermutlich untereinander, doch das meiste Geld gab vermutlich der Kaiser in Wien, wohin der Fürst und Abt des öfteren reiste.

2022-04-12-0004

Der Fürst und Abt gemütlich in der Studierstube, nachdem der Prachtbau vollendet war. Klösterliche Einkehr und vermutlich gutes Essen

 

Zitieren wir nun aus dem Büchlein Martin Gerbert, Fürst und Abt von St. Blasien (1993):

Wegen der Verschwendung großer Geldsummen für die Prachtbauten in St. Blasien wurde Martin Gerbert von seiten der Klosterfeimde beschuldigt. Zu diesem Thema entgegnete der St. Blasier Pater Weiß:

… Und auch deshalb verwendete der einsichtsvolle Fürstabt so große Summen an seinen Tempel, damit der arme Handwerksmann, der darbende Künstler unserer Gegend, wo es so häufig an Arbeit mangelt, Nahrung und Unterhalt für sich und die seinigen finde. Die Jahrgänge von 1770 und 1771 waren durch Misswachs und Teuerung eine äußérst harte Zeit. Beinahe in allen Gegenden unserer Nachbarschaft rang der Hunger mit dem Tode. Welch eine Wohtat war es für zahlreiche Untertanen, dass das herrschende Elend den Prachtbau Martins nicht verhinderte.

Das war die ominöse Stelle! Der Pater wird der Kaiserin das in einem Brief geschrieben, und sie wird es mit Genugtuung gelesen haben. Was gingen sie die armen Leute an! Das überlas man geflissentlich. Ja, so wie der Pater Weiß kann man es auch hindrehen. Der »einsichtsvolle« Abt verschaffte den Armen Lohn und Brot.

Doch es steht ja alles drin. Bei der Bevölkerung »rang der Hunger rang mit dem Tode« — und dann die Prachtbauten inmitten des Elends. Weiß schreibt, die Absicht sei gewesen, ein »würdiges Denkmal seines Glaubens, seiner Verehrung und seiner Liebe zu gründen». Wessen Liebe? Des Martin Gerberts, des Fürsten Liebe! Der Fürst der Gläubigen setzte sich für die Nachwelt ein Denkmal.

Prachtbauten inmitten des Elends — dieser Widerspruch bleibt so stehen. Brosamen vom Tisch des Herrn für die Armen — Festwochen für die Reichen. Die Klöster, Könige und der Adel steckten unter einer Decke und ignorierten die Menschen im Lande, ihre Untertanen.  Auch die Französische Revolution, begonnen zu Lebzeiten Gerberts, endete in Blut und bei Napoleon, und erst um 1830 und 1848 erhob das Volk in Deutschland und Frankreich seine Stimme.

 

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.