Klosteraffären
Frauen im Galluskloster war eine Ausstellung in der Stiftsbibliothek St. Gallen im Jahr 2006, als ich mich dort aufhielt. Erst jetzt entdeckte ich im Katalog das Kapitel Unheiliges und Weltliches um Frauen und wollte wissen, wie das war, was nach Kirchengebot es eigentlich nicht geben durfte: Begegnungen von Frauen und Männern. Das fängt alles sehr früh an: vor tausend Jahren.
Der Mönch Ratpert begann im 9. Jahrhundert mit Casus sancti Galli die Geschichtsschreibung des Klosters unweit der westlichen Ecke des Bodensses. Ekkehard IV. schrieb daran weiter. Seine Geschichten zeichnete er zwischen 1040 und seinem Todesjahr 1060 auf, doch erzählt er die Begebenheiten zwischen 890 und 972. Das ist verdammt lang her! Köstlich ist die Geschichte um den Klosterarzt Notker, einem tüchtigen Diagnostiker, und Herzog Heinrich von Bayern. Dieser
begab sich für eine medizinische Untersuchung zu Notker nach St. Gallen. Um ihn zu testen, schickte er ihm statt seines eigenen Urins jenen seiner Kammerzofe zum Untersuch voraus. Notker analysierte und kam zu folgender Erkenntnis: »Gott hat ein Wunder gewirkt, wie es noch nie gehört worden ist: Ein Mann wird ein Kind gebären. Herzog Heinrich wird in einem Monat einen Sohn aus seinem Schoß zur Welt bringen und an die Brüste legen.« Der so Ertappte errötete und sandte dem St. Galler Möncharzt Geschenke, damit er ihm die Behandlung nicht verweigerte. Die Kammerzofe aber, von der man geglaubt hatte, sie sei Jungfrau, gebar, wie Notker vorausgesehen hatte, ein Kind.
So etwas kennen wir auch aus der Radsportgeschichte. Ein Mann namens Rentmeester schickte den Urin seiner Frau zur Urinprobe. Ergebnis: Rennfahrer schwanger! Dirk Müller vom Team Telekom erhielt dieselbe Diagnose, weil er eine Überdosis des Hormons HCG eingenommen hatte.
Der St. Galler Abtbischof Salomon amtierte von 890 bis 920. Ekkehard erwähnt, als junger Mann sei Salomon bei einem vornehmen Mann zu Gast gewesen und habe dort »heimlich dessen jungfräuliche Stieftochter erkannt«, die nach neun Monaten eine Tochter zur Welt brachte.
Dem »Fehltritt« folgte die Busse: Sie liess sich im Fraumünsterstift in Zürich »den heiligen Schleier auflegen und führte dort ein löbliches Leben«. Dank des Einflusses von Salomon wurde diese Frau, deren Namen wir nicht kennen, später Äbtissin des Fraumünsters. Die gemeinsame Tochter … wurde mit einem Mann namens Notker … verheiratet und von Vater und Mutter, beide einflussreich und mächtig, mit Gütern ausgestattet.
Auch Mönche sind durch den Geschlechtsakt entstanden, den Gott gewollt hat. Zur Geburt des späteren Mönches Iso kam es ungeplant; die Natur setzte sich durch.
Die adeligen Eltern, die sich durch keusche Enthaltsamkeit auszeichneten, schliefen während der vorösterlichen Fastenzeit in getrennten Betten, nahmen in dieser Zeit keine Nahrung zu sich, beteten und wachten viel und kasteiten sich. Am Karsamstag erlaubten sie sich ein Bad und schmückten sich für den Kirchgang, worauf die Frau, ermüdet von vorhergegangenen Strapazen und dem langen Vigil-Gottesdienst in ihr Bett schlafen ging. »Da kam unter Führung des Versuchers zufällig ihr Mann in jenes Gemach. Er trat zu ihr, und ohne dass sie sich sträubte, legte er sich an diesem heiligen Tage zu ihr. Nach vollbrachtem Frevel erhoben die beiden im Gemach dort so grosses Wehklagen, dass das Gesinde, das rach zur Stelle war, nicht zu fragen brauchte, was geschehen sei, da sie mit lautem Flehen zu Gott selber kundtaten, was sie getan.« Das Paar tat öffentlich Buße und Abbitte.
In der Fastenzeit und der Adventszeit war Ehepaaren in den Bussbüchern Enthaltsamkeit verschrieben. Der Karsamstag ist der Tag nach Jesu Tod und beendet eigentlich die Fastenzeit; die Nacht von Freitag auf Samstag ist übrigens auch diejenige, in der der Rabbi seine Frau besuchen darf.
Régine Pernoud schreibt in ihrem Buch Leben der Frauen im Hochmittelalter, nach dem Sittenverfall im 9. und 10. Jahrhundert hätten die Gregorianischen Reformen eine Erneuerung bewirkt. Papst Gregor VII. regierte von 1073 bis 1085 und bekämpfte den Ämterkauf, die Priesterehe und den Einsatz von Laien. Die Klosterreformen begannen in Cluny in Frankreich und hatten in Deutschland Hirsau als Zentrum. Mit seiner Behauptung von der Überlegenheit der kirchlichen Macht über die weltliche war Papst Gregor verantwortlich dafür, dass in den folgenden Jahrhunderten immer wieder Päpste gegen Kaiser standen. Mit späteren Epochen im Kloster (und Mann und Frau) befassen wir uns in den nächsten Tagen.