Klosteraffären (2)

Die Klostergeschichte St. Gallens ging weiter und wurde auch weitergeschrieben — bis zum Anfang des 19. Jahrhunderts, zuletzt durch Ildefons von Arx (1755-1833). Damit sind tausend Jahre dokumentiert. Die Reformen von Cluny und Hirsau Ende des 11. Jahrhunderts bewährten sich 300 Jahre lang, doch dann wurde die Zeitstimmung eine andere, die Sitten wurden lockerer, die Klöster weltlicher. Auch in sie drang die Renaissance ein. 

Frauen und Mädchen gingen also unüberprüft und ungestraft im Kloster ein und aus, weil sie dort zu tun hatten. Das Gasthaus für durchreisende Frauen befand sich auch innerhalb des Klosters. Im Katalog der Ausstellung dazu:

Und wie es eigentlich nicht verwunderlich ist, wurden in jener Zeit Äbte, Mönche und Laienbrüder bisweilen auch Väter von Kindern.

Die Versuchung ist groß. Da genügt ein Blick … In einem Buch wurde den Mönchen geraten, die Augen niederzuschlagen, wenn sich eine Frau nähert. Yin und Yang, Frau und Mann finden eben zusammen und gehören zusammen, nur hat der Mönch Keuschheit gelobt. Auch katholische Priester müssen sich dem unterwerfen. Ich finde es ja richtig, dass Priester ehelos bleiben; sie werden so nicht abgelenkt von ihrer Aufgabe, aber man könnte ihnen die freie Wahl lassen.

Pater Markus Schenklin, um 1540 als Statthalter in Wil tätig, kam für den Lebensunterhalt von zwei »Schätzchen« auf, die er gezeugt hatte, und Organist und Prediger Pater Heinrich Keller vermerkt 1548, er habe »von Anna, so ich mich leider versündigt hab«, ein Kind erhalten, das auch getauft worden sei.

500 Jahre nach den Gregorianischen Reformen wurde es jedoch erneut strenger. Durch den Einfluss der asketischen spanischen Jesuiten versuchten die drei Äbte, die von 1564 bis 1630 amtierten, die Missstände zu beheben. 1561 schon war Anna Schnider aus Fussach eingekerkert worden, weil sie mit »alt Statthalter Pater Gallus Wittwiler von Bregenz die menschliche Werk gebraucht« (mit ihm geschlechtlich verkehrt hatte). Laienbruder Otmar Kuster und seine Geliebte Anna Hofstetter (anscheinend hießen die Frauen damals alle Anna) wurden in St. Fiden eingesperrt, konnten aber bald fliehen.

1595 hieß es im »Recessus Visitationis«:

Art. 41: Wer das Gebot der Keuschheit verletzt, bleibt ein halbes Jahr im Kerker und ist des aktiven wie des passiven Wahlrechts beraubt. — Art. 44: Ins Kloster darf keine Frauensperson, welchen Standes auch immer, eingelassen werden.

Weitere Drohungen sorgten dafür, dass es kaum mehr Verstöße gab. Zudem zensurierte man erotische Literatur. 1681 jedoch gab es einen Fall: Der große Theologe Maurus Heidelberger — damals 53 Jahre alt — wurde wegen »sittlicher Verfehlungen mit einer Frauensperson« ins Klostergefängnis gesperrt. Er flüchtete, trat zum evangelischen Glauben über, musste die Auslieferung durch die Zücher befürchten, wurde für den Landgrafen von Hessen-Kassel tätig, heiratete und zeugte zwei Kinder, doch mit 70 Jahren wollte er wieder zurück ins Kloster und starb bald darauf »bussfertig«.

Klosterbibliothekar Pater Edmund Weidner war den Vorgesetzten »verdächtig wegen Verkehr mit Frauenspersonen«, und »als Besserung ausblieb«, musste er Kerkerhaft befürchten. Er flüchtete, wurde zurückgebracht und zu lebenslänglicher Einsperrung in seine Zelle verurteilt, wonach ihm abermals die Flucht gelanbg. Auch er ging nach Zürich, wurde evangelisch und Pater von Horgen, wo er 1748 unerwartet starb.

In der damaligen Ausstellung hieß es:

Auffällig ist, dass man in den erhaltenen Quellen über das Schicksal der Mönche recht viel erfährt, über das Los der jeweils ebenfalls betroffenen Frau herrscht in der Regel aktenmässig Stillschweigen. Die Frauen … nahmen eine zentrale Rolle ein, um nachher wieder im Dunkel der Geschichte zu verschwinden.

In Giovanni Boccaccios Novellensammlung Decameron (ca. 1350) bekommen Kleriker und Mönche ihr Fett ab. Ein anonymer Mann aus dem Aargau folgte ihm 100 Jahre später und schrieb Reime zu zotigen Themen. Da kommt überraschend der Bauer heim, und die Bäuerin muss den Dorfpfarrer im großen Käsekorb verstecken, doch durch ein Loch hieng dem Pfaffen das, das im bi sinen beinen gewachsen war. Die Bäuerin singt ein Prozessionslied mit anderem Text, der Pfarrer versteht den Hinweis und bleibt unentdeckt.

So etwas Derbes könnte man heute nicht mehr schreiben. Eine neue Prüderie ist eingekehrt. Die Geschlechtslust wird nur noch analysiert und kühl registriert; sie ist durch gutes Essen, Joggen und technische gimmicks absorbiert, jedenfalls gut sublimiert worden, aber das muss uns nicht interessieren.

 

 

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