Abtei Fontevraud

Wir denken noch einmal an den Sittenverfall des 9. und 10. Jahrhunderts und die Gregorianische Reform um 1075 — also gegen Ende des 11. Jahrhunderts —, und da belehrt uns Régine Pernoud, im 11  und 12. Jahrhundert habe sich »die neue Macht der Frau« entfaltet, die »bis zum Ende des 13. Jahrhunderts Bestand hatte«. Schönstes Beispiel sei eine Abtei: Fontevraud am Fluss Loire, zwischen Angers und Tours gelegen, nordöstliches Frankreich. 

R.3c5407cfac88ce015490f8679eb60e50Fontevraud ist die größte Klosteranlage Europas und wurde 1100 von dem charismatischen Eremiten Robert d’Arbrissel (1045-1116) gegründet, der Zulauf aus allen Ständen erhielt. Eine buntscheckige Menge zog, ihm folgend, durch die Lande, und am Abend kampierte man an den Straßen: die Männer auf der einen, die Frauen auf der anderen Seite. Papst Urban II. wollte ihn sehen und bestätigte die Ordensgründung. D’Arbrissel schrieb in seinem Testament:

Wisst, liebe Brüder, dass alles, was ich in dieser Welt getan habe, ich zum Wohle unserer Nonnen getan habe. Ich habe … mich selbst und meine Schüler den Nonnen unterworfen für unser Seelenheil. Ich habe daher mit ihrem Rat beschlossen, dass zeit meines Lebens eine Äbtissin diesen Orden leiten solle und dass nach meinem Tod niemand es wage, diesen Anordnungen zu wiedersprechen. 

Die Äbtissin sollte ausdrücklich Eheerfahrung mitbringen, also eine Witwe sein und keine Jungfrau. Tatsächlich leiteten von 1100 bis 1792, also fast 700 Jahre lang, stets Äbtissinnen Fontevraud, insgesamt 36 an der Zahl. Oft gelangten Töchter von Herzogen, Grafen und Königen an die Spitze des Ordens, der vom Adel großzügige Schenkungen erhielt. Zu Beginn lebten in der Abtei 300 Nonnen und 60 bis 70 Mönche. Bald wurden weitere Abteien gegründet, und Mitte des 12. Jahrhunderts wies der Orden schon 5000 Mitglieder auf. Allerdings lebten Nonnen von Mönchen streng getrennt.

OIP.aveZ76G2VwolBeV2q9IPHAHaE-Die erste echte Äbtissin war von 1115 bis 1150 Pétronille de Chemillé. Sie war mit den Grafen von Anjou verwandt, fuhr aus Neugier nach Fontevraud und blieb gleich dort. Als Urbans Nachfolger, Papst Calixtus II., zu Besuch kam und höchtpersönlich den Altar der Abtei einweihte, begrüßte ihn die 26-jährige Äbtissin, die für ihre Intelligenz bekannt war. Zu ihrer Zeit stießen auch Bertrade von Montfort und ihre Schwester Isabella zum Kloster und nahmen den Schleier. Bertrade war mit einem Herzog verheiratet, der neben ihr nichts zu melden hatte, und bald wurde der König Frankreichs ihr Geliebter. Bertrade hatte viele Liebesaffären, während Isabelle, die Schöne, Fröhliche, Spöttische, gern selbst das Panzerhemd anlegte und in den Krieg zog. Régine Pernoud meint, damals seien starke Frauen an der Seite blasser Männer häufig gewesen, und sie argumentiert:

Bei genauerer Überlegung versteht man besser, dass Robert d’Arbrissel beschloss, seine Mönche solchen weiblichen Persönlichkeiten zu unterstellen, da er damit rechnete, dass sie Gott mit ebensoviel Eifer und Begeisterung dienen würden, wie sie sich ihren Leidenschaften hingegeben hatten. 

Eng mit der Abtei Fontevraud verbunden war auch Eleonore von Aquitanien (1122-1204), eine der mächtigsten und klügsten Frauen des Hochmittelalters, die seit 1137 mit König Ludwig VII. verheiratet war. Als sie nach Marie 1151 wieder »nur« eine Tochter gebar und keinen Thronfolger, ließ sich die Ehe nicht mehr halten. Danach wurde sie die Frau von Heinrich Plantagenet, der als Heinrich II. englischer König R.ba662fe50b1d98281186b480cce517dbwurde. Nach dessen Tod galt sie neben Richard Löwenherz als Nebenkönigin mit eigenem Siegel. Eleonore zog sich oft nach Fontevraud zurück und gab der Abtei großzügige Schenkungen. Die Grabplastik dort für sie, die ich hoffentlich bald sehen werde, zeigt sie als Lesende. — Die zweite Tochter, Alix (rechts im Bild), heiratete den Grafen von Blois und regierte dort alleine von 1191 bis zu ihrem Tod 1197. Eines ihrer sieben Kinder, wiederum Alix (die französische Version von Alice), war 1208 und 1209 Äbtissin von Fontevraud.

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