Bayerische „Hexe“
Aus der US-Zeitschrift Fate (Schicksal) hatte ich mir während meiner Zeit am Institut einmal einen Artikel herauskopiert, der einen Beitrag verdient hat. Da erzählt uns Jeffrey J. Tomschin aus Cicero im US-Bundesstaat Illinois eine Geschichte von seinem bayerischen Urgroßvater. Den Ort Pestenacker, in dem sie spielt, kenne ich gut. Er liegt zehn Kilometer nördlich von Landsberg am Lech, dem Geburtsort meiner Mutti (und Ort des mütterlichen Clans).
Der gute Jeffrey schrieb den Artikel im Januar 1995, das ist lange her. Heute kann man alles recherchieren, und so kann ich auch vermelden, dass Cicero ganz nah am Erie-See liegt und 85.000 Einwohner hat, während Pestenacker sich mit 235 begnügen muss. Da denkt man an die Schilder in der Wüste aus US-Filmen, auf denen etwa steht: Paris, Texas / 145 Inhabitants / And still growing!
Viele Amerikaner stammen ja von Westeuropäern ab, weil ein Vorfahr, vom Hunger zermürbt, in die Staaten auswanderte. In Pestenacker jedenfalls lebten Adalbert Seeg und sein Bruder Stephan, und es war die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg. Die Familie Seeg besaß einen Bauernhof und ein Gasthaus (ich muss den Artikel mal dem Bürgermeister von Pestenacker schicken, vielleicht kann er was dazu sagen!). Aus München kamen die Dienstboten, und die Magd Rosi freundete sich besonders mit Adalbert und Stephan an. Rosi strahlte einen gewissen Großstadt-Charme aus, und als sie sich näher kannten, erfuhren die Brüder, sie sei eine Hexe. So schreibt Jefffrey. Sie selber wird halt von irgendwelchen Ritualen gesprochen haben, vom Gesundbeten, vom Handauflegen.
Der Krieg wurde ausgerufen. Man rief Adalbert und Stephan zu den Waffen. Sie hatten Angst. Am Tag vor ihrer geplanten Fahrt zur Front nahm sie Rosi beiseite. Für Stephan gäbe es keine Probleme, verriet sie, denn er müsse nicht in den Kampf. Adalbert jedoch drohe der Tod auf dem Schlachtfeld. Jedoch versicherte sie ihm, sie würde bei ihm sein und ihn vor seinem düsteren Schicksal retten. Adalbert hatte Vertrauen zu ihr. Es würde schon gutgehen.
Stephan kam als Koch zu den Offizieren und musste nicht zur Waffe greifen. Adalbert musste nach Flandern, und die Schlacht von Lys, die von 9. bis 17. April 1918 dauerte, wurde fürchterlich. Mit seinen Kameraden sahen sie das Ende vor sich. Sie konnten sich wegen gegnerischen Feuers nicht aus der Stellung wagen, als eine Granate auf sie zurauschte. Nichts mehr zu tun. Adalbert verabschiedete sich im stillen von der Welt.
Da fiel mir ein, wie Robert Musil, der Autor des Romans Der Mann ohne Eigenschaften und im Ersten Weltkrieg an der Front gewesen, die Ankunft eines tödlich wirkenden Geschoßes beschrieb. In seinen Tagebüchern hat er das nur gerafft beschrieben, irgendwo gibt es eine ausführlichere Fassung.
Das Schrapnellstück oder der Fliegerpfeil auf Tenna: Man hört es schon lange. Ein windhaft pfeifendes oder windhaft rauschendes Geräusch. Immer stärker werdend. Die Zeit erscheint einem sehr lange. Plötzlich fuhr es unmittelbar neben mir in die Erde. Als würde das Geräusch verschluckt. Von einer Luftwelle nichts erinnerlich.
Die Granate traf und explodierte, und Adalbert fand sich statt im Jenseits auf dem Körper eines Kameraden liegend, den das Geschoß in die Erde gerammt hatte. Er erinnerte sich an Rosi und dankte ihr im Geiste. Bald danach war der Krieg zu Ende, und Adalbert durfte heim. Rosi war von Adalberts Mutter nach einem Streit entlassen worden, und man hat nie wieder etwas von ihr gehört, wie Jeffrey von seiner Großmutter erfuhr, von Adelheid Kern, der Tochter von Adalbert.
Jeffrey meint, er verdanke Rosi sein Leben auch, denn wäre Adalbert gestorben, gäbe es ihn nicht. Er betonte, in ihm sei dadurch der Glaube an mystische Erfahrungen und Wunder entstanden:
Ich glaube, dass das Schicksal eines Menschen durch magische Mittel verändert werden kann.
Wie wir schon einmal sagten (bei der Akasha-Geschichte): Es gibt eine wahrscheinliche Zukunft als Auswahl vieler Zukünfte, die sich immer mehr verdichtet, aber nicht in Stein geschrieben ist. Es gibt einige Episoden, wobei jemand einen Unfall träumte und dann im Leben aufpasste und ihn vermied; oder wo der Unfall auf andere Weise geschah und weniger heftig.
Bild oben links: Biergarten im Dachauer Moos; rechts: Hiouport in Belgien, Foto des Roten Kreuzes, während noch deutsche Schrapnelle abgefeuert wurden. Dank an Library of Congress, Wash. D. C.