Bipolar

Auch Mutter Erde hat zwei Pole: den Südpol und den Nordpol. Im Reich der Psyche bedeutet bipolar, zwischen Manie und Depression hin- und herzuspringen, was der Volksmund mit himmelhochjauchzend/zu Tode betrübt ausdrückt. Besser kann man es nicht sagen. Von Glücksgefühlen und irren Einkaufstouren geht es hinein in die Verzweiflung. Schwer, mit solch einem Menschen zu leben.

Mir liegt das Buch Loving Someone with Bipolar Disorder vor, von Julie A. Fast (eine Betroffene) zusammen mit dem Psychologen John D. Preston geschrieben, 2004. Es soll nur, kurz angerissen, ein weiteres Beispiel sein für Spaltung und die zwei Seelen, die sich im Fall Bipolar abwechseln, so dass die Kranken immer radikal in einem Modus funktionieren und sich das andere Extrem nicht vorstellen können. Uns geht es ja ähnlich: Wenn wir traurig sind, scheint jede Lebensfreude Illusion und Traumgespinst, und sich 30 Grad vorzustellen ist auch unmöglich, wenn es schneit und friert.

9783957640567_mEs handelt sich um ein Ratgeber-Buch für Partner. Wer eine Kollegin oder einen Schulfreund mit diesem Syndrom kennt, ist ja nur am Rande berührt. Manchmal ist der halt seltsam drauf und niedergeschlagen; dann wieder sprüht er vor guter Laune. Die bipolare Störung hat ihren Ursprung in einer durcheinandergeratenen Gehirnchemie und ist auch von anderen Stimmungen begleitet — Paranoia, Angst, Psychosen, Selbstschädigung —, und von ihrer häufigsten Form (Typ II) sind 4 bis 5 Prozent der Bevölkerung betroffen. Bipolar ist nur ein anderer Ausdruck für manisch-depressiv, und da wir Depressionen kennen und sie nichts als öde sind, geben wir hier einem Betroffenen das Wort, der über seine voll ausgeprägte Manie berichtet, die andere Seite der Medaille, aber eher vorkommend bei Bipolar Typ I:

02ffWenn ich manisch bin, kommen die Ideen so schnell, dass ich mit ihnen gar nicht Schritt halten kann. Es sind so tolle Einfälle, dass sie, wie ich weiß, die Welt verändern werden. Als ich das letzte Mal manisch war, blieb ich die ganze Nacht wach und schrieb ein neues Software-System nieder, das, wie ich dachte, die Industrie revolutionieren würde. Ich konnte nicht schlafen und fühlte mich angefüllt mit erstaunlicher Energie. Am nächsten Morgen war ich reizbar und grob zu meinem Partner. Ich versuchte, die Probleme aller zu lösen. Bald hatte ich Mühe zu schreiben. Dann konnte ich meine Gedanken nicht mehr kontrollieren. Ich kann mich noch an einen Gedanken erinnern: »Ich bin ein Genie.« Und ich glaubte daran. Dann fing ich an, gefährliche Dinge zu tun. Ich ging über die Schnellstraße, ohne einen Blick auf die ankommenden Autos zu werfen. Wenn das beginnt, ist Manie kein Spaß mehr. Die Dinge werden chaotisch, und ich muss ins Krankenhaus. Mein Partner musste einen Gerichtsbeschluss erwirken, der mich im Krankenhaus festhielt, weil ich die Behandlung verweigerte. Man fixierte mich, weil die Krankenschwester Angst hatte, ich würde sie angreifen. Drei Monate war ich im Krankenhaus, bis ich wieder herunterkam.

Die Hypermanie von Typ II ist weniger ausgeprägt und dauert auch nicht so lange: höchstens eine Woche, manchmal nur eine Strunde. Jemand schilderte:

DSCN4299Alles ist so einfach, und ich weiß, dass das Leben für mich endlich besser wird. Ich brauche viel weniger Schlaf und habe das Gefühl, Dinge anpacken zu können, was mir die Depression verweigert hatte. Alles sieht so hübsch aus. Alle Menschen sind schön, und ich will sie kennenlernen. Es macht auch viel Freude, Geld auszugeben. Alles wirkt stärker: Gerüche, Geschmackserlebnisse, Farben und Gefühle. Das Problem ist, dass ich, wenn mein Verhalten nicht bemerkt wird, einige schreckliche und lebensverändernde Entscheidungen treffen könnte. Bei mir folgt auf die Hypermanie immer eine Depression.

Menschen mit Größenwahn, wie man das früher nannte, gab es immer; von ihrer folgenden Traurigkeit wurde nicht Kenntnis genommen, weil sie sich zurückzogen. Die bipolare Störung ist für den Partner eine konstante Achterbahnfahrt und schwer durchzuhalten. In der Depression gibt es gar keinen Sex, in der Manie wird der sexuelle Trieb übermächtig. Manche Menschen stürzen sich bei Einkaufstouren auch in Schulden oder veranstalten hochriskante Autofahrten.

Behandelt die bipolare Störung zuerst! schärfen die Autoren ihren Leserinnen und Lesern ein. Dann sollte man den Lebensstil beeinflussen und herausfinden, welche Faktoren manische Episoden auslösen. Man solle auch die typischen Interaktionsmuster erkennen — die Dialoge, die immer gleich ablaufen, und in denen zuweilen nicht der Partner spricht, sondern seine Krankheit. Dann muss der Andere ruhig bleiben und das sich zu einem Wortgefecht aufschaukelnde Gespräch kontrollieren und den Dampf herausnehmen.

 

Illustrationen: oben rechts ein E-Buch von mir; Mitte links ein Bild von Karl Heinz Renner, Freiburg; unten rechts ein Bild von Christine Supersaxo, La Chaux-de-Fonds.

 

 

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