Alles gut

Byung-Chul Han mit seinem Pamphlet über die Müdigkeitsgesellschaft hatte ich einmal erwähnt und den Philosophen vorgestellt. Wieder einmal führte jemand meine Hand, als ich — im Nachdenken über den Roman Im Seitenwind begriffen — mir das wirklich kleine Büchlein des Südkkoreaners dazuholte. Denn den Profi-Radsport und die heutige Gesellschaft verbindet einiges. 

Die Welt im Westen bietet zuviel Positives, zu viele Möglichkeiten, schreibt Byung-Chul Han, und der Zwang, immer positiv zu sein, drückt sich in dem oft gehörten Spruch »Alles gut« aus.

Der Südkoreaner erwähnt »Überproduktion, Überleistung und Überkommunikation«, und Baudrillard sprach von der »Fettleibigkeit« der Systeme. Das Zuviel kommt als neuronale Gewalt daher, ist nicht richtig zu sehen, macht aber satt und müde. Die Depression beginnt dann ihre Karriere, wenn die Disziplinargesellschaft der Leistungsgesellschaft weicht, in der sich jeder selbst der Nächste ist. Es ist zuviel da, die Menschen werden dick, ihre Autos und Wohnungen blähen sich auf, und ihr Diskurs wird weitschweifig und undiszipliniert. Als wollten sie sich gegen etwas wappnen, das ihnen an die Nieren oder unter die Haut gehen könnte. Byung-Chul Han:

Das Leistungssubjekt ist frei von äußerer Herrschaftsinstanz, die es zur Arbeit zwingen oder gar ausbeuten würde. … Der Wegfall der Herrschaftsinstanz führt nicht zur Freiheit. Er lässt vielmehr Freiheit und Zwwang zusammenfallen. … Der Exzess der Arbeit und Leistung verschärft sich zu einer Selbstausbeutung. Diese ist effizienter als die Fremdausbeutung, denn sie geht mit dem Gefühl der Freiheit einher. Der Ausbeutende ist gleichzeitig Ausbeuter. Täter und Opfer sind nicht mehr unterscheidbar. … Die psychischen Erkrankungen der Leistungsgesellschaft sind gerade die pathologischen Manifestationen dieser paradoxen Freiheit. 

Es sind etwa Burnout oder die Erschöpfungsdepression. Kein Unbewusstes ist daran beteiligt, meint der Philosoph, und kein Verbot. Es geht um das Können, um das alles können Wollen, und letztlich scheitert man am Unbeherrschbaren (am Kontingenten), also an der Außenwelt, die negativ eingreift.

Was es gar nicht geben dürfte. Aus den Vereinigten Staaten dringen Sätze zu uns wie Lebe deinen Traum oder Um das Mögliche zu schaffen, musst du das Unmögliche denken, doch mit diesen hochfliegenden Phrasen verführt man einfache Gemüter, die sich zum Zweck der Selbstoptimierung gleich einen Coach leistet, der ist, was der Guru früher war. Gurus brauchen wir nicht mehr, die Welt ist areligiös, das Leben vergänglich, und darauf reagiert man mit Hyperaktivität und noch mehr Leistung. Wie der Esel mit der Mohrrübe vor der Nase rennt, bis er tot zusammenbricht, so versuchen heutige »Leistungssubjekte«, sich zu verwirklichen.

Wie passt der Radsport dahinein? Nun, Außenstehende sehen eine bunte, fröhliche Welt am Start. Das sind junge Menschen, die Besten der Welt, sie wollen das und sind motiviert, sie können berühmt werden und zu Volkshelden. Doch in Wirklichkeit ist der Radsport tief in der früheren Disziplinargesellschaft verankert: alles für den Kapitän, jedem seine Aufgabe, man folgt eisern der ausgegebenen Taktik, und wer sich dagegen auflehnt, ist draußen. Willst du dazugehören, dann musst du mitmachen.

Man legt die Mittel oder die Spritzen hin (erzählte auch Zimmi), man sprach nicht darüber. Das ging alles nonverbal. Das Unaussprechliche war EPO oder waren Amphetamine. Unausgesprochen: Willst du oben stehen, brauchst du das. Der Radsport (wie der gesamte Leistungssport) hat mehr unglückliche als glückliche Menschen hervorgebracht. 95 Prozent der Profis holten sich ein paar Siege und beendeten irgendwann ihre Karriere, und die Stars scheiterten oft, da persönlich instabil oder unreif, an ihrem Startum.

Byung-Chul Han schrieb:

Die Leistungsgesellschaft als Aktivgesellschaft entwickelt sich langsam zur Dopinggesellschaft. Inzwischen wird auch der negative Ausdruck »Hirndoping« durch »Neuro-Enhancement« ersetzt. Das Doping macht gleichsam eine Leistung ohne Leistung möglich. Inzwischen argumentieren auch seriöse Wissenschaftler, dass es geradezu verantwortlich sei, solche Substanzen nicht anzuwenden. … Das Doping ist nur eine Folge dieser Entwicklung (dass der Mensch als Ganzes zu einer Leistungsmaschine wird, Anm.), in der die Lebendigkeit selbst, die ein sehr komplexes Problem darstellt, auf die Vitalfunktion und Vitalleistung reduziert wird. Als ihre Kehrseite bringt die Leistungs- und Aktivgesellschaft eine exzessive Müdigkeit und Erschöpfung hervor. 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

ufgezählt hat. Die jetzige Welt bietet zuviel Positives und hat Abschied genommen von der Disziplinierung; es ist an jedem Arbeitnehmer selbst, sich einzubringen, besser zu werden: Von Selbstoptimierung sprechen viele. Das schafft enormen Druck, denn man rennt immer neuen Zielen nach und fühlt sich letztlich als Versager. Die unselige Fixierung aufs Ich und das Verschwinden metaphysischer Werte machen, dass man sich einsam und verlassen fühlt.

UlleDer Spitzensport und ganz vorn die Radprofis war eine Welt, in der dies alles schon vorgebildet war. Du kannst ein Star sein, wenn du alles richtig machst. Im Spitzensport ist allerdings die Traumwelt mit arger Disziplinierung verquickt. Im Hintergrund stehen die Teamchefs und Sponsoren und machen enormen Druck. 90 Prozent der Gladiatoren werden keine Stars und enden mit Selbstvorwürfen, und die Stars scheitern zuweilen an ihrem Startum. Alle sind sie Futter für die Medienmaschinerie, die dem müden, gelangweilten Bürger die öden Feierabendstunden versüßen hilft.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.