Filmtage des Mittelmeeres

Mannheim liegt auf dem vierten Platz in Deutschland, was den Ausländeranteil betrifft: 20 Prozent. Im Kanton Zürich sind es 27 Prozent. Offenbach hat sogar 37 Prozent, Frankfurt rund 30. So nähern wir uns der Welt-Community, aber neue Probleme nisten sich bei uns ein. Gute Filme bilden sie ab, und die Mannheimer Filmtage des Mittelmeeres von 13. bis 24. Juli sind (oder waren) ein Spiegel dafür. 

Diese ernsthaften Filme, diese »Problemfilme« habe ich immer gesucht. In Rom war ich oft in kleinen Programmkinos und in St. Gallen ständiger Gast im Kommunalen Kino (bis es ausquartiert und erneuert wurde). Man taucht in fremde Welten ein und fährt verwirrt und bereichert nach Hause. Auch wenn die Mittelmeer-Filmtage schon fast zu Ende sind, dachte ich mir, es wäre schön, einfach aus dem Programmheft die Handlung mancher Filme abzutippen. Wählen wir fünf Filme aus. Würde ich in Mannheim leben, ich hätte mir viele der 22 Filme angesehen.

Fangen wir mit Abou Leila aus Algerien an, gedreht 2019 von Amin Sidi-Boumédiène.

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Algerien 1994. Die beiden Polizisten Lotfi und S., die sich schon seit ihrer Kindheit kennen, machen sich auf den Weg in die Sahara, um Abou Leila, einen berüchtigten Terroristen, aufzuspüren. Lotfi aber geht es vor allem darum, seinen Freund S. von der Hauptstadt fernzuhalten, denn weitere Gräuel kann dieser in seinem bereits angegriffenen Gemütszustand nicht mehr ertragen. Ihre Reise gerät nach und nach zu einem surrealen Alptraum. Der Zustand von S. verschlechtert sich zusehends, und immer deutlicher tritt hervor, dass beide Männer sich ihrer eigenen Gewalt und Bürgerkriegsgeschichte stellen müssen. 

Aus Ägypten kommt der Dokumentarfilm As I Want (Wie ich will) von der palästinensischen Filmemacherin Samaher Alqadi, die in einem Flüchtlingslager aufwuchs. Auch das ist ein neuer Film, entstanden im vergangenen Jahr.

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Bei der Kundgebung zum zweiten Jahrestag der Revolution kommt es auf dem Tahrir-Platz zu massiven sexuellen Übergriffen. Sie haben wütende Proteste ägyptischer Frauen zur Folge, darunter ist auch Samaher Alqadi. Sie geht mit einer Kamera auf die Straße — zum Dokumentieren des Aufstands, aber auch zum Selbstschutz. Auf einer zweiten Ebene hinterfragt sie ihre Rolle als Frau und werdende Mutter und stellt sich in einem inneren Dialog mit ihrer verstorbenen Mutter traumatischen Erlebnissen aus ihrer Kindheit. So entsteht ein filmischer Essay und politisches Dokument, das persönliche Emanzipation in Verbindung setzt mit einere feministischen Bewegung in einere Gesellschaft, in der sexuelle Beläastigung Normalität ist und Frauen um ihre Selbstbestimmungsrechte kämpfen müssen.

Aus dem Kosovo kommt ein Frauenschicksal, verfilmt 2021 von Bierta Basholli, die 1993 im Kosovo geboren wurde. Der Film heißt Hive.

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Ein Bienenstock (engl. hive) spielt eine wichtige Rolle in diesem Film, auch ein Lastwagen und Peperonismus. Im Mittelpunkt aber steht eine starke Frau und ihr Widerstand gegen das Patriarchat im Kosovo. Und der damalige Krieg, in dem die Männer verschwinden und oft nicht mehr lebend zurückkommen. Fahria ist diese starke Frau, die auf ihren Mann nicht (nur) wartet, sondern gegen großen, vor allem männlichen Widerstand ein eigenes neues Leben aufbaut. Sie fährt Auto, gründet ein kleines, erfolgreiches Unternehmen und wird anderen Frauen zum Vorbild.

Abdallah Al-Khatib schuf 2021 den Film Little Palestine, Diary of a Siege. Er lebte bis 2015, bis zu seiner Vertreibung durch den IS (Islamischer Staat) in dem Lager, das er beschreibt.

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Jarmuk, ein Stadtteil der syrischen Hauptstadt Damaskus, war bis 2018 das grösste palästinensische Flüchtlingslager der Welt. Während der syrischen Revolution erklärte das Regime von Bashar al-Assad 2013 das Viertel als Zufluchtsort für Rebellen und begann mit einer Belagerung — der Stadtteil wurde von allen Versorgungsanlagen abgeschnitten. Nur mit einer Kamera in der Hand dokumentierte Abdallah al-Khatib den Alltag in dem Ort, der von Hunger und Bombardierungen gepräft ist. In seinem filmischen Tagebuch zeigt er auf eindringliche Weise, dass den Menschen in Jarmuk alles genommen werden kann, aber nicht ihr Mut und ihre Menschenwürde. 

Gianfranco Rosi bekam für seinen Film Notturno 2020 drei Preise.

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Orte, Häuser, Landschaften, Brücken, Grenzwälle, Schützengräben und zuallererst Menschen. Alle sind sie verletzt und vom Krieg gezeichnet. Der langsam erzählende Film führt uns irgendwo in die Grenzregionen von Syrien, des Irak, von Kurdistan und des Libanon. Dabei ist es völlig gleichgültig, wo genau wir uns befinden. Denn der Film entgrenzt, indem er sich ganz der Menschen annimmt. Er zeigt deren Alltag, geprägt von Krieg und Gewalt in acht Episoden mit eindrücklichen Bildern.   

 

 

 

 

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