Das Gold

Jakob Wassermann (1873-1934) war in den 1920-er Jahren ein vielgelesener Autor in Deutschland. 1933, als die Nationalsozialisten Bücher verbrannten, ächteten sie auch den Juden Wassermann und seine Werke. Gebrochen und verarmt starb er bald danach in Österreich. In der Erzählung Das Gold von Caxamalca (1928) deutet Wassermann die kommende Katastrophe an. 

Ein gewisser Viktor Zuckerkandl verfasste 1928 für den Verlag Philipp Reclam jun. ein Nachwort zu dem 50 Seiten langen Text und lobte Wassermann:

220px-Opole_Oppeln_Nowa_Synagoga_Neue_Synagoge1Ein divinatorischer Instinkt für das, was in der Zeit krank und was gesund ist, was Vernichtung und was Entwicklung zu erwarten hat, was der Vergangenheit und was der Zukunft gehört, lässt seine Probleme immer zugleich Probleme der Zeit sein.

Ein schrecklicher Satz, aber auch er prophetisch. (Bild oben: eine 1938 brennende Synagoge) Anscheinend schwang die Vernichtung im damaligen Denken (der Nazi-Anhänger) bereits mit, und vernichtet werden sollte die jüdische »Rasse«. Jakob Wassermann erzählt in der Gold-Geschichte den Feldzug der Spanier unter Francisco Pizarro 1532 gegen den peruanischen Inka-Sonnengott Atahuallpa, dem Freiheit versprochen wurde, wenn er einen Saal mit Gold würde füllen lassen; doch die Spanier brachen ihr Versprechen und brachten den Peruaner auf dem Scheiterhaufen um.

Prophetisch und drängend-gewaltvoll wie die Offenbarung am Ende der Bibel klingt Wassermanns Sprache zuweilen, und grelle und geheimnisvolle Bilder zaubert er vor uns hin. Kurz vor seinem Tod lässt Atahuallpa 24 verstorbene Vorväter- und -mütter, bereits verweste und skelettierte ehemalige Menschen in kostbaren Kleidern, mit ihm dinieren. Alles trägt den Untergang mit sich, und man denkt an den Spruch »Alles Windhauch« des Predigers Kohelet in der Bibel.

Mexico 057

 

Gleich zu Beginn erfahren wir, geschrieben habe den Bericht

der Ritter und nachmalige Mönch Domingo de Soria Luce in einem Kloster der Stadt Lima, wohin er sich, dreizehn Jahre nach der Eroberung des Landes Peru, zur Abkehr von der Welt begeben hatte.

Atahuallpa wurde nach einem fürchterlichen Gemetzel von den Spaniern gefangengesetzt. Der Übersetzer erklärt dem Inka diese seltsamen Menschen aus dem fremden Kontinent:

PXL_20220806_123150057.MPSie wollen Gold. Sie winseln um Gold, sie schreien um Gold, sie zerfleischen einander um Gold. Frag‘ sie um den Preis deiner Freiheit, und du wirst sie mit Gold kaufen können. Es gibt nichts in der Welt, was sie dir nicht für Gold geben würden, ihre Weiber, ihre Kinder, ihre Seele und sogar die Seelen ihrer Freunde.

Der Inka-Gott nimmt den Faden auf und sagt zu Pizarro:

Das Gold verleiht euch den Mut, alle Dinge zu berühren und euch alle Dinge anzueignen. Und indem ihr die Dinge gewinnt, zerstört ihr jedes Dinges Form. Das Gold verwandelt eure Seele, das Gold ist euer Gott, euer Erlöser, wie ihr es nennt, und wer ein Stück davon besitzt, der ist gefeit, der meint die Sonne zu besitzen, weil er eine andere Sonne nicht kennt. Ich verstehe es nun genau, und ihr dauert mich, ihr Sonnenlosen.

Ersetzt im Gold das o durch ein e, und ihr habt ein Bild der heutigen Zeit. Atahuallpa weiter (zu Pizarro):

Wie kannst du mit solcher Bestimmtheit sagen, dass dein Gott der wirkliche und einzige Gott ist?« fragte der Inka mit hoheitsvoller Ruhe, »und wie soll ich an ihn glauben, da er es doch zulässt, dass ihr, die ihr stets von seiner Liebe und Barmherzigkeit redet, unschuldige Menschen mordet?«

Jahrhunderte einer blutigen Geschichte sind die Folge des Übels, dass Europäer für Reichtum und für ein Prinzip mordeten und sich in nichts um das Gebot der Nächstenliebe scherten — und die Kirche tat mit, doch Gott, in dessen Namen so viel Schlimmes geschah, kann nichts dafür. Domingo de Soria Luce verfolgt die Geschehnisse, bis ihn eine Umnachtung niederwirft, die Tage dauerte. Er fasst am Ende zusammen:

342Ich sah den Tod in jeglicher Gestalt, die er auf Erden annimmt; ich sah die Freunde hingehen und die Führer fallen und die Völker enden und die Unbeständigkeit jedes Glücks und den Betrug jeder Hoffnung und schmeckte den bitteren Bodensatz in jedem Trunk und das heimliche Gift in jeder Speise und litt an der Zwietracht der Gemeinden und an der Torheit selbst der Erleuchteten und an dem grausam gleichmütigen Rollen der Zeit über diese schmerzbeladene Erde und erkannte die Nichtigkeit allen Habens und die Ewigkeit allen Seins, und mich erfüllte das Verlangen nach einem besseren Stern, den die herrliche Sonne reiner durchglüht und edler beseelt hat.
Dieser, auf dem ich lebe, ist vielleicht von Gott verstoßen.

Elf Jahre später begann der Zweite Weltkrieg, 14 Jahre später nahmen die Vernichtungslager ihre furchterregende Arbeit auf.

 

Mehr zum Gold (Soundtrack; Gold von Spandau Ballet):

Goldmacher 1666Gold!

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