Das Aleph

Das Althebräische wird von vielen für die wichtigste Sprache der Menschheit gehalten. Doch war es nicht die älteste; das Aramäische stand dem Hebräischen und Arabischen Pate. Jesus sprach aramäisch. Anhand des ersten Buchstabens nähern wir uns der Sprache des Alten Testaments an, dem Bibelhebräischen. Das Neue Testament wurde auf Griechisch verfasst und ins Lateinische übersetzt. 

David Porush schreibt zum Beispiel über diesen ersten Buchstaben des hebräischen Alphabets, das Aleph:

OOIPDer erste Buchstabe des Alphabets hat keinen Klang. Er wird zu den Konsonant gezählt, weil das Hebräische keine Vokale kennt, und dennoch ist er ein Nicht-Konsonant. Schon ein Geheimnis!
(…) Die Abwesenheit von Vokalen in der reinen, primitiven Form der Sprache lädt zu mehreren Bedeutungen ein und hält den Leser in einer gewissen Spannung befangen. Das Fehlen der Vokale ist ein Relikt aus primitiver Zeit. Gewisse Bedeutungen wurden so zurückgehalten. (…)
Auf der einen Seite ist das Aleph eine Nullgröße, die dem Leser keinen Hinweis darauf gibt, wie es ausgesprochen wird. Auf der anderen Seite ist das Aleph ein Platzhalter, ein Zeichen für die Abwesenheit von Sicherheit und eines der ersten Zeichen für Null in der Geschichte der Zivilisationen. Wie die Null ist das Aleph nicht eine Abwesenheit, nicht nichts, nicht das Zeichen für ein Ding, nicht ein Ausschließendes. Es widerspiegelt die Essenz des hebräischen Alphabets, ist also ein Meta-Buchstabe über den Code des Hebräischen, jene Schrift ohne Vokale, die nicht nichts (nothing) bedeuten, sondern kein Ding (no thing).

Brian Rotman nannte es

20180920_091119ein Zeichen, dessen Verbindung zu nichts und der Leere, wo kein Ding ist, es zu einem Ort des systematischen Zwiespalts zwischen der Abwesenheit von Dingen und der Abwesenheit von Zeichen werden lässt und somit zu einem semiotischen Phänomen jenseits der üblichen Verschriftlichungssysteme. Cantor bezeichnete mit dem Alpha die Unendlichkeit, Jorge Luis Borges (in seiner berühmten Erzählung Das Aleph) damit einen Punkt, in dem sich alle Objekte des Universums spiegeln.

Jeder Buchstabe des hebräischen Alphabets steht nicht nur für eine fundamentale schöpferische Energie oder Kraft, sondern wird selbst mittels der Buchstaben desselben Alphabets fundamentaler Energien buchstabiert. Das bedeutet, dass die hebräischen Buchstaben sich selbst definieren und sich selbst bedeuten, wenn ihre allgemeine Bedeutung verstanden ist. Jeder Buchstabe hat eine ihm eigene innere Struktur und spielt in der Hälfte der Fälle eine Rolle bei Aussprache und Bedeutung der anderen Buchstaben.

Bei uns ist das A  eben ein A; im Hebräischen besteht das Aleph aus Peh, Lamed und wieder einem Aleph, von rechts gelesen (denn Hebräisch schreibt man wie Arabisch von rechts nach links). Der Buchstabe Aleph symbolisiert Wind und Luft sowie den Atem des Lebens. Oben wirbelt Aleph wie ein Wind, das Gesagte dringt durch Lamed in den Körper und durch den Hals, wonach es durch den Mund (Peh) ausgesprochen wird. Am Anfang war das Wort (Aleph), schrieb Johannes.

Aleph als der erste Buchstabe ist Kether zugeordnet, der höchsten Instanz des kabbalistischen Baums, und zu ihm gehört der Engel Metatron, der als der Prophet Emoch auf Erden war und das Alphabet (Aleph-Bet) mit seinen 22 Buchstaben den Menschen brachte. Der kabbalistische Gnostizismus (oder die gnostische Kabbala) hat noch viele wunderbare Ausflüge in den Mythos zu bieten, aber uns genügt schon das Aleph, das uns viel über das Hebräische lehren konnte.

 

 

 

 

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