Spiegel und Schleier

Sind wir nicht mehr da, wenn sich der liebende Mensch uns nicht mehr zuwendet? Die Sufis, diese islamischen Mystiker, glaubten, dass Gott durch ihre Augen blicke und sich durch sie ausdrücke — und dennoch hatten die Sufis nichts dagegen, ein schönes Gesicht zu betrachten und dabei Poesie vorgelesen zu bekommen. Ruzbehan aus Shirazi war einer ihrer wichtigsten Vertreter.

ShiraaazRusbehan aus Schiras im Süden Irans — heute eine Stadt von 1,7 Millionen Einwohnern — lebte von 1128 bis 1209. (Rechts im Bild sein Grab in Schiras). Er fühlte sich früh erleuchtet und erlebte Ekstasen, bereiste Länder des Orients und ließ sich dann in Schiras nieder. Er bemühte sich auch um das Wohl seiner Mitbürger, ohne auf Askese und Ekstasen zu verzichten, und da er geachtet war, wurde er nie als Abtrünniger verfolgt wie andere Sufis.

Rusbehan war mehrmals verheiratet und hatte drei Kinder. Er schrieb angeblich 60 Bücher, von denen 27 erhalten sind. Aus seinem Hauptwerk Der Jasmin der Getreuen der Liebe (Kitâb-e ‚Abhar al-‘ashiqin) soll im folgenden zitiert werden.

Die Getreuen der Liebe (Fedeli d’amore) war eine Sekte oder besser Bruderschaft im Italien des 13. Jahrhunderts, über die nicht viel bekannt ist. Dante Alighieri und andere Poeten des Stilnovo sollen ihr angehört haben, und der Einfluss der Sufis und auch hebräischer Autore ist unverkennbar; vielleicht kam von Rusbehans Buch sogar der Name? Übermorgen beschäftigen wir uns mit diesem Umfeld.

Im Jasmin geht es um die Liebe zu Gott, um den Weg und auch um Partnerschaft: um die Seele des anderen Geschlechts, die einem zugedacht ist. Rusbehans Lehre kreist um die Liebe und nur um sie. Er lässt Gott sprechen:

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Suche mich im mystischen Bereich der Liebe! Der Zeuge (shahid) ist der Spiegel, durch den Gott blickt und in dem er sich selber zeigt in den variierenden schönsten aller Formen. Betrachter und Betrachtete sind eins. Das ist die ganze Lehre.

So macht Gott aus seinen Gläubigen die Begehrenden und die Begehrten, die Liebenden und die Geliebten.

 

 

Ausgehend vom Auge Gottes, haben die Lichter der Schönheit diesen Spiegel durchdrungen, der das DSCN1298menschliche Antlitz ist. Der menschliche Spiegel ist es, der die menschliche Seele betrachtet; sie unterscheidet die besonderen göttlichen Attribute in der Theophanie, die ihm eigen ist.

Theophanie heißt Erscheinen Gottes, Epiphanie überhaupt ein Erscheinen (Der 6. Januar ist das Fest Epiphanias, Fest der Erscheinung des Herrn). Der Perser Sohrawardi, der 1191 starb (hingerichtet als einer, der gegen den Islam verstieß), erläuterte:

Die Formen der Vorstellungskraft sind »schwebende Zitadellen« ohne Substanz. Sie haben ihre Orte des Erscheinens (epiphanie), aber sie sind nicht dort. Ebenso ist der Spiegel der epiphanische Ort der Formen, die wir in ihm sehen, und auch sie sind »schwebend« oder »aufgehoben«. 

In einem islamischen Lehrsatz sagt Gott:

Ich war ein verborgener Schatz; ich wollte gekannt werden, also habe ich die Schöpfung geschaffen, um mich selber in ihr wiederzuerkennen (aus einem islamischen Hadith, einem Lehrsatz). 

 

Morgen: Rusbehan und mehr über die Liebe

 

 

 

 

 

 

 

Der wei0ße Falke Liebe.

 

 

 

 

 

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