Ende einer Diktatur
Nach fast 21 Jahren kam Mussolinis Dämmerung. Die Alliierten waren am 9. und 10. Juli auf Sizilien gelandet und hatten die Insel genommen. Der Faschistische Großrat wollte den »Duce« etwas eindämmen und empfahl dem König dessen Entlassung. Victor Emmanuel setzte also am 25. Juli 1943 einen überraschten Mussolini ab, der sogleich verhaftet wurde.
Badoglio übernahm die Regierung, und nach sechs Wochen — am 8. September 1943 — schloss Italien einen Waffenstillstand mit den Alliierten. Die Botschaft an die Soldaten war undeutlich formuliert, aber eines war klar: Nun waren die Italiener von Deutschlands Verbündeten zu dessen Feinden geworden. Die alten Faschisten krochen wieder aus ihren Löchern und trachteten, mit den Deutschen gemeinsame Sache zu machen, die Mitte September die Besetzung Italiens beschlossen hatten.
In dieser Phase spielt sich die Handlung des Romans Medusa von Mario Tobino ab. Auf Italienisch heißt das Buch Il clandestino, etwa: Der Mann im Untergrund. Tobino (1910-1991) war Arzt und leitete später psychiatrische Kliniken. Er stammte aus Viareggio am Tyrrhenischen Meer (nahe bei Pisa), und diese Stadt nannte er für seinen Roman Medusa — wie die altgriechische Sagengestalt, die Schlangen ums Haupt trug und jeden, der sie betrachtete, zu Stein erstarren ließ. Dabei ist das Medusa des Romans nicht schlimmer als andere Städte: Die Bürger halten still und halten alles aus; oder sie denunzieren einander, »von Angst und Eigennutz getrieben«.
In Medusa bildet sich eine Untergrundorganisation um den Admiral Saverio, um den »roten Priester« Summonti, Mosca, Adriatico und den Arzt Anselmo, unschwer als Alter ego Tobinos zu erkennen. Damals, 1943, fuhren alle Fahrrad, und 19 Mann begeben sich also auf Fahrrädern in die Berge und nehmen dann auch Kontakt zu den Amerikanern auf, die ihnen später auf dem Luftweg Waffen zukommen lassen. Die Untergrundkämpfer verstanden sich als Kommunisten.
Nach dem Krieg wurde der Kommunismus zum Schreckgespenst des Westens, und plötzlich waren, da es gegen einen gemeinsamen Feind ging, die Untaten der Deutschen nicht mehr so schlimm; man ließ sogar vielfache Mörder entkommen, und die katholische Kirche half mit, dass diese (wie Mengele und Eichmann) nach Südamerika fliehen konnten. Dürrenmatt meinte einmal, für die Kirche sei der Kommunismus, da er eine Art Religion war, eine gefährliche Konkurrenz gewesen.
Tobino beschreibt sehr anschaulich, wie die jungen Leute dachten:
Natürlich wussten sie von den Schriften des Marxismus, vom leninistischen Gedankengut recht wenig … Dafür loderte in ihrem Inneren die feurige Leidenschaft dieser heiligen und unverstandenen Werke: in ihnen brannte das Verlangen nach Gerechtigkeit, und in dem Wort »Kommunismus« war all das enthalten, was sie empfanden und was sie erstrebten: die Hoffnung auf die Zukunft, das Vertrauen in die Menschheit und deren Weiterentwicklung, den Sieg des Guten über das Böse, die Überwindung des Egoismus durch den Großmut.
Die Partei gab die Befehle aus. Doch auch die Faschisten formierten sich neu und taten sich mit den Deutschen zusammen, die in Italien nun einen Rachefeldzug begannen. Mario Tobino schreibt über die Deutschen, ihre »kaltblütige Grausamkeit« hätten manche Bürger bewundert, und wenn die Deutschen Befehle erhielten, seien sie »zu wilden Tieren« geworden. Auf der anderen Seite gab die Partei die Parole aus: »Faschisten und Deutsche sind umzubringen.«
Der Krieg. Viele Antifaschisten werden eingekerkert, wieder freigelassen, und einige sterben. Aus Rache erschießt man dann ein paar Faschisten.
Am 22. Januar 1944 landete das VI. Corps der Alliierten in Anzio und Nettuno unweit von Rom. Doch General John P. Lucas zögerte und befestigte lieber einen Brückenkopf, statt rasch nach Rom marschieren zu lassen (einen Monat später wurde er abgelöst). Er hätte nicht viel Gegenwehr angetroffen, die Deutschen waren überrascht. Nun aber holten sie zum Gegenschlag aus, es gab blutige Gefechte um Monte Cassino, und endlich, spät, am 4. Juni 1944, marschierten die Amerikaner in Rom ein. Erst fast ein Jahr später, am 20. April 1945, fiel die letzte Verteidigungslinie der Deutschen bei Bologna, und so feiert Italien alljährlich den 25. April, an dem es 1945 Aufstände gab, als den Tag der Befreiung.
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