Berge und Zen
Eine Postkarte vom Fairtrade-Laden mit der Aufschrift »Quality« ließ mich wieder zu Pirsigs Zen in der Kunst, ein Motorrad zu warten greifen. Denn der Autor handelt die Qualität gründlich ab; das wollte ich noch einmal lesen, und dabei fielen mir ein paar schöne Stellen auf, bei denen es um den Berg geht. Ich wandere ja auch gern auf und zwischen Bergen herum.
Der Erzähler ist mit seinem 11-jährigen Sohn Chris zu einem Berg unterwegs.
Berge wie diese und Reisende in den Bergen und Geschehnisse, die ihnen dort zustoßen, findet man nicht nur in der Zen-Literatur, sondern auch in den Geschichten aller großen Religionen. Die Allegorie eines echten Bergs für den spirituellen (Berg), der zwischen jeder Seele und ihrem Ziel steht, kommt einem einfach und natürlich vor.
Wir denken an den Berg Qaf in der altpersischen Literatur, den Sinai und den Tabor im Christentum (auch die goldene Stadt Zion auf dem Berg) sowie an den Kailash im Buddhismus, den man schon in diesem Leben pilgernd umkreisen kann. Der Erzähler wollte einmal hinauf auf den Kailash, schreibt er, doch seine Körperkraft hatte nicht genügt — es braucht mehr. Er spekuliert, er habe seine Erfahrungen erweitern wollen, um sich kennenzulernern; er habe den Berg und die Pilgerfahrt zu seinen Zwecken benutzt, während die anderen Pilger womöglich die Heiligkeit des Berges erkannten, die in ihren Geist eindrang und sie ermächtigte, mehr zu ertragen als sonst und als der westliche Leistungsmensch.
Wie jene in dem Tal hinter uns sehen die meisten Menschen den spirituellen Berg ihr ganzes Leben lang vor sich und machen sich nie auf den Weg. Sie begnügen sich damit, denen zuzuhören, die dort gewesen sind; so können sie die Entbehrungen vermeiden. Einige lassen sich auf die Berge von erfahrenen Führern begleiten, die die besten und am wenigsten gefährlichen Routen kennen, über die sie zu ihrem Ziel gelangen sollen. Wieder andere, unerfahren und misstrauisch, versuchen ihre eigene Route zu gestalten. Wenige von ihnen haben Erfolg, aber gelegentlich schafft es der eine oder die andere mit reiner Willenskraft oder mit Glück und Gnade. Wenn sie dort angelangt sind, erkennen sie eher als andere, dass es nicht nur eine bestimmte Anzahl fester Routen gibt. Es gibt so viele Routen, wie es individuelle Seelen gibt.
Dann schreibt Robert M. Pirsig wieder sibyllinisch, die alten Routen auf den Berg seien nicht mehr praktikabel. Seit 300 Jahren gebe es sie, doch nun seien sie erodiert, unterspült und ausgewaschen durch die »wissenschaftliche Wahrheit«. Im Angesicht dauernder Veränderung regiere eine starre Dogmatik. Die Worte Jesu und Moses‘ seien unverständlich und unwichtig geworden.
Aber die Tatsache, dass die alten Routen aufgrund von sprachlicher Starre ihre alltägliche Bedeutung verloren haben und beinahe geschlossen wurden, bedeutet nicht, dass der Berg nicht mehr da ist. Er ist da und wird da sein, so lange es Bewusstsein gibt.