Mascha Kaléko
Es war ein eher zufälliger Griff nach dem rosa Büchlein in meiner Lyrik-Ecke, und nach etwas Herumblättern fand ich zwei ganz schöne Gedichte und befand, über Mascha Kaléko müsste ich schreiben. Interessante Frau, Dichterin und Emigrantin, ein wenig verwandt mit Else Lasker-Schüler, die sie in Berlin auch kennenlernte.
Das Büchlein heißt Der Stern, auf dem wir leben und ist von Rowohlt herausgegeben worden. Wir bedienen uns daraus der kurzen Biografie der Autorin:
Mascha Kaléko, geboren 1907 in Polen, studierte in Berlin und arbeitete dort für das Feuilleton der »Vossischen Zeitung«. In Berlin veröffentlichte sie auch ihre ersten Gedichte; 1933 verlegte der Rowohlt-Verlag ihren ersten Lyrik-Band, weitere Bände folgten. 1937 emigrierte sie nach Amerika und ging von dort 1966 nach Jerusalem. Kurz vor ihrer Rückkehr nach Berlin starb sie 1975 in Zürich.
Bei Wikipedia heißt es, ihr Gesundheitszustand habe sich auf der Rückreise von Berlin nach Jerusalem verschlechtert. Zwei Jahre vorher war ihr Mann gestorben, fünf Jahre vorher ihr Sohn. Die Assoziation zu Else Lasker-Schüler kam mir spontan, und es ist richtig, die beiden verband vieles. Ihrer beider Stil pendelte zwischen Ironie und Pathos, beide litten in Palästina unter Isolation und Einsamkeit, und ziemlich genau 30 Jahre nach Lasker-Schüler starb die Kaléko. Noch eine Assoziation: Emily Dickinson. Hat diesen Humor auch, ich muss sie mal wieder bringen.
Ich habe Überfahrt ausgewählt — ein Gedicht über den bitteren Weg in die Emigration, und dann noch Temporäres Testament, das sie mit Humor verfasst hat.
Überfahrt
Wir haben keinen Freund auf dieser Welt.
Nur Gott. Den haben sie mit uns vertrieben.
Von all den Vielen ist nur er geblieben.
Sonst keiner, der in Treue zu uns hält.
Kein Herz, das dort am Ufer um uns weint.
Nur Wind und Meer, die leise uns beklagen.
Lass uns dies still zu zweien tragen,
Dass keine Träne freue unsern Feind.
Sei du im Dunkel nah. Mir wird so bang.
Ich habe Vaterland und Heim verlassen.
Es wartet so viel Weh auf fremden Gassen.
Gib du mir deine Hand. Der Weg ist lang.
Und wenn das Schiff auf fremder See zerschellt,
Wir sind einander mit dem Blut verschrieben.
Wir haben keinen Freund auf dieser Welt.
Uns bleibt das eine nur: uns sehr zu lieben.
Temporäres Testament
Nach meinem Tode (Trauer streng verboten)
Verlass ich diesen elenden Planeten.
Wenn Plato recht hat — Plato ist mein Mann —:
Erst wenn man tot ist, fängt das Leben an.
Kapitel Eins beginnt mit dem Begräbnis,
Der Seele letztes irdisches Erlebnis.
Auf meines freue ich mich heute schon!
— Da gibt es keine Trauerprozession.
Kein Lorbeerkranz vom Bund der Belletristen;
Kein Kunstverein hat mich in seinen Listen,
Kein Dichtazirkel … Sagen wir es schlicht:
Gesellig war die sanft Entschlafne nicht.
Der Redakteur, den sie einst tödlich kränkte,
Als er sein Mäntlein nach dem Winde hängte,
Hat ihren Nachruf lange schon gesetzt.
Der schließt: »M. K. war reichlich überschätzt.«
Diverse Damen, deren Herren Gatten
Zuzeiten eine Schwäche für mich hatten,
Die werden selbst im Regen Schlange stehen,
Um mich auch wirklich mausetot zu sehen.
Die strengen Richter meiner wilden Jugend
Entdecken der Verstorbnen edle Tugend
Und eingedenk der menschlichen Misere
Vergießt so mancher eine Anstandszähre.
Den wahren Freunden — ach, die sind zu zählen! —
Werd ich vielleicht zuweilen etwas fehlen.
Moral: Was euch im Leben zu mir zog,
Hebt es nicht auf für meinen Nekrolog!
Das berühmte Gefühl
Als ich zum ersten Male starb,
— Ich weiß noch, wie es war.
Ich starb so ganz für mich und still,
Das war zu Hamburg, im April,
und ich war achtzehn Jahr.
Und als ich starb zum zweiten Mal,
Das Sterben tat so weh.
Gatr wenig hinterließ ich dir:
Mein klopfend Herz vor deiner Tür,
Die Fußspur rot im Schnee.
Doch als ich starb zum dritten Mal,
Da schmerzte es nicht sehr.
So altvertraut wie Bett und Brot
Und Kleid und Schuh war mir der Tod.
Nun sterbe ich nicht mehr.