Orakel (4): Tarot

Während man bei I Ging sechs Mal die Münzen wirft, das entsprechende Bild im Buch nachschlägt und den Eintrag liest, ist es mit den Tarot-Karten nicht so einfach. Sie deuten ist ein Kunst, da sie in einem Schema ausgelegt werden, in dem die Karten sich aufeinander beziehen. 

2023-02-17-0006Divination nannte man immer die Zukunftsschau mittels Knochen, die man warf, oder anhand des Flugs eines Vogelschwarms. Tarot ist keine einfache Art der Divination. Madeline Montalban (1910-1982), eine englische Kennerin der Karten, schrieb:

Erinnert euch trotzdem daran, dass die Divination euch nur sagt, was euch passieren könnte, wenn ihr in der beschriebenen Situation nichts tut; sie bezieht sich auf Möglichkeiten und schenkt nicht Gewissheiten. Das wahre Mysterium des Tarots lehrt euch nur, was ihr tun könnt.

Die Karten scheinen nicht älter als das 16. Jahrhundert zu sein. Es gibt 78 Karten: 22 Trumpfkarten — die großen Arkana —, 40 kleinere Arkana und 14 Hofkarten. Die Trümpfe zeigen die Ursachen, die kleinen Arkana die Wirkungen, und die Hofkarten (Prinzessin, Page, Prinz, König) weisen auf Beziehungen und Wechselwirkungen hin.

Die Trümpfe stellen eine Art Heldenreise dar: den Weg zur Vollendung (wie es auch de I-Ging-Bilder tun). Ausgehend von dem Narren (Nummer 0, der Joker), geht es durch viele Stadien und durch viele Krisen, die bei Bild 13 bis 16 auftauchen: der Tod, der Teufel, der Turm, in den der Blitz schlägt. Die letzte Trumpfkarte, Nummer 22 oder die Welt, zeigt den prächtigen Endzustand.

Madeline Montalban wusste, dass es den Klienten meist um Fragen der Liebe, der Finanzen, der Familie und drohender Veränderung geht. Es gibt Dutzende Auslege-Varianten: für eine einfache Entscheidung drei oder vier Karten, für komplexe Fragen 12 Karten oder gleich 24, wobei 12 kleine Arkana auf die ersten 12 Trümpfe gelegt werden. Immer muss man die Karten drei Mal gut mischen, abheben und sie dann auslegen. Man rechnet damit, dass eine unbewusste Kraft im Fragenden die passenden Karten auswählt. Das Tarot macht nur deutlich, was man im Inneren ohnehin schon weiß, und eine gute Interpretin kann dem Klienten eine Tür öffnen.

2023-02-17-0005Nach dem Ende meines Arbeitslebens mischte ich die Karten und zog nur eine, die mir etwas über den Tag sagen sollte. Es kam die »Vier der Schwerter« mit der Bezeichnung Waffenruhe. Also eine Zeit des Rückzugs von Konflikten, der Konsolidierung und der Erholung. Ein Woche später wiederholte ich die Prozedur: gründlich mischen, abheben, drei Mal das alles, und eine beliebige Karte ziehen. Wieder die Waffenruhe! Natürlich, mein Zustand hatte sich nicht verändert. Dass man aus 78 Karten wieder genau dieselbe zieht, ist schon ein kleines Wunder! — Dann legte ich sie bald wieder aus, vier Karten, und das Zentralstück war die As der Stäbe: Elektrizität, Energie, Spiritualität; der Anfang von etwas Neuem, das vielleicht bereits im Werden ist, ohne dass ich davon weiß. Der Soundtrack dazu: Ace of Wands (besagtes As der Stäbe) von Steve Hackett und Genesis.

Mit jeder der Trumpfkarten öffnet sich eine Welt. Vergleichbar ist das Tarot mit der Kabbala. Man meint, das Geheimnis der Welt liege darin verborgen. Irgendwann fand jemand heraus, dass die Verbindungswege der 10 Sefiroth 21 sind und ordnete jedem Weg eine Tarot-Karte zu (auch wenn da eine fehlt; vermutlich hat man den Narren weggelassen, die 0, die nicht zählt).

Auch die schön gestalteten Karten geben Anlass zu Spekulationen und Deutungen. Die französische Künstlerin Niki de 2023-02-17-0004Saint-Phalle (1930-2002) hat in der Toskana ihren Tarot-Garten gestaltet. Wir schauen uns rechts die Umsetzung der Karte 13 an, Der Tod, über den sie schreibt:

Der Tod ist das grosse Geheimnis des Lebens. Ohne den Tod hätte das Leben keinen Sinn. Mit ihrem Werkzeug trägt die Sensenfrau dazu bei, Neue Blumen wachsen zu lassen. Die Karte des Todes ist die Karte der Erneuerung. Im Bewusstsein des Todes zu leben, ist eine Weise, sich nicht von den Eitelkeiten des Lebens gängeln zu lassen.

Die Karten offiziell zu legen, sollte eine Zeremonie sein. Ich wollte mich im Tarot auch einmal ausbilden, aber dazu braucht man Jahre und muss wirklich eifrig sein. So nebenher geht das nicht. Auch dieser Beitrag ist nur ein Versuch, Interesse zu wecken. Der Inhalt der Tarot-Karten ist schier unerschöpflich. Wer sich mit ihnen intensiv befasst, wird reich belohnt.

 

Die dunklen Aspekte hat manipogo behandelt:

Der Turm im TarotDer Teufel im Tarot Der Tod im Tarot

 

 

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