Die Priester

In 6 Wochen wird unser IVCA-Treffen mit den alten Rädern in Cremona sein, und ich dachte, wie damals in Karlsruhe als Don Camillo aufzutauchen: Er war (nebst seinem kommunistischen »Gegner« Peppone) in den 1950-er Jahren ein beliebter Film- und Buchheld (Autor: Giovanni Guareschi, 1908-1968) und wurde gespielt von Fernandel. Was ist heute mit den Priestern? Guido Ceronetti wusste mehr. 

imgresizeCeronetti (1927-2018), den auch viele Italiener nicht kennen, übersetzte viel, gründete ein beliebtes Marionetten-Theater und äußerte sich mit spitzer Feder über Erscheinungen seiner Zeit. (Links fotografiert von Vincenzo Cottinelli, 2000.) In seinem Buch Albergo Italia schrieb er 1985 auch über die Priester; das ist zwar schon 40 Jahre her, aber damals waren die Pfarrer selbst im katholischen Italien bereits eine im Verschwinden begriffene Spezies.

IMG_20170527_114659275Das interessiert mich. Im Pflegeheim sagte eine Bewohnerin verzückt zu mir: »Warum sind Sie nicht Pfarrer geworden?« Ich veranstaltete gerne Andachten und las am Sonntag das Evangelium vor, in Schwarz gekleidet. Als ich nun Ceronetti las, dachte ich mir zum ersten Mal: Vielleicht war ich in einem früheren Leben ein Priester? (Rechts als Don Camillo in Karlsruhe, 2017.) Ich  lebte 5 Jahre in Rom; vielleicht nicht zufällig. Also hoffe ich, dass sich bald in einem Traum Reinkarnationserinnerungen melden.

Im ersten Abschnitt spielt der Autor auf das progressive Zweite Vatikanische Konzil an, das in Rom von 1962 bis 1965 stattfand. Das Latein als Sprache der Messe wurde abgeschafft, und die Priester sollten nicht mehr von der Kanzel predigen und sich überhaupt dem Volk der Gläubigen »auf Augenhöhe« präsentieren. Genießen wir nun den süffisanten, barocken Stil von Guido Cerlonetti (übersetzt von mir):

Die Menge des in sich aufgenommenen Lateins zählte nicht viel: Es war die Wichtigkeit, die dem Latein im intellektuellen Leben beigelegt wurde, die die Lateinkenner von den anderen trennte; diese Trennung spüre ich heute noch. Mit dem Ausschluss des IMG_2735Lateins von den Riten mussten die Priester einen herben Schlag hinnehmen. Die Liturgie-Reform von Paul VI. reduzierte schlagartig die besondere Aura des Priesters, sein inneres und äußeres Priestertum, auf die Proportionen des alltäglichen Menschen. Und auch die Kutte fiel: War ihm schon die Sprache seiner zweiten Geburt genommen worden — durch sein Vaterland, die Kirche —, so fühlte sich der Priester wie Adam, dem auffiel, dass er nackt war: aus der Scham heraus zog er sich Jeans an. … Es waren das Latein und die Kleidung, die den Priester machten sowie eine dritte Sache, die ich nur andeuten kann, die aber grundlegend war.

700193Es war der Anti-Feminismus der alten asketischen Prägung, das Misstrauen gegenüber der Frau., die Angst — wirkliche Angst — vor der Frau. Ob es nun wirklich Abstinenz gab oder nicht (der jungfräuliche Priester über ein ganzes Leben hinweg war eine äußerst seltene Erscheinung: es konnten großartige Charaktere entstehen, jedoch auch auf unerträgliche Weise deformierte, wenn die Bedingung des Zölibats nicht perfekt akzeptiert wurde): Was einen Mann zum Priester machte, war jener Horror vor der Weiblichkeit, die er immer ausstrahlte. Das war eine viel ernstere Sache als die reine und einfache Abstinenz: ein spiritueller Widerwille, oft mit einer natürlichen Anziehung kombiniert, und den Triumph trug meist der Widerwille davon.  

Ihre Ungezwungenheit mit dem anderen Geschlecht erstreckte sich nur auf die alten Frauen. Dieses Feld war ziemlich reichhaltig, denn das weibliche Altern begann früh; erst die eindeutig festgestellte Menopause beruhigte den Priester und ließ ihn zu einem beredten Führer der älteren Damen zu Pilgerorten werden. Vor Frauen, die Karriere gemacht hatten, gab er sich rätselhaft, ausweichend, verzweifelt, unehrlich, erschreckt oder schrill (oder verlogen weltmännisch), besonders, wenn sie verheiratet waren. Die Priester trugen überall hin diese ihre Furcht vor einer unbekannten Kraft, wobei sie deren Wichtigkeit ins Riesenhafte übertrieben.

Auch wir sind irgendwie Priester gewesen, bis Schmerz und Verlockung (eher noch eine heitere Unwissenheit) uns dahin brachten, das mysteriöse Spielzeug immer und immer wieder auseinanderzubauen und zusammenzusetzen. Es ist eine ferne, kosmologische und demiurgische Angst im Angesicht des Chaos der kochenden und obskuren Wasser, die man empfindet, bevor man in den Kampf geht und sich hineinstürzt. Beim Priester komplizierte sich das durch die Erziehung im Seminar und in Theologie und machte bald (und wurde daher, wie das Latein und die Kleidung, eine dritte große Kraft) in der Hauptsache das große Böse aus. Es war ein schrecklicher Irrtum, das Böse vor allem in der Frau und im erotischen Verlangen zu suchen, doch war es von erstrangiger Bedeutung für den Priester (wie für jeden), dass das Gefühl für das Böse nie ruhen solle, nicht eine Minute.

Guido Ceronetti meinte dann noch melancholisch, einen Priester zu finden, in dem Gott noch nicht tot sei, würde ihn berühren. Es müsse harte, andere, stolze und widerständige Priester geben, doch dann würde ihr Anderssein sie (wie früher) isolieren und sie an den Rand drücken. Er kaufte sich sogar selber ein Priesterornat, um zu sehen, wie man sich darin fühlt …

Illustrationen: Nummer 3, in einer Kirche in Tropea (Kalabrien) gesehen; Nummer 4: ein Gemälde von Nicholas Roerich.

 

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