Der zweite Tod

Genügt nicht der Tod? Für die Ägypter war er nicht weiter schlimm, er war einer Neugeburt vergleichbar; sie fürchteten aber den zweiten Tod, den zu fürchten auch die Christen Grund hatten und die Moslems sowieso. Wohingegen die Spiritualisten und Theosophen ihn begrüßten und als Beförderung betrachteten. Sehen wir uns also diesen »zweiten Tod« etwas genauer an.

Ich ging eines Morgens ins Badezimmer und dachte plötzlich an die Offenbarung des Johannes, genannt auch die Apokalypse. (Vielleicht ein Tipp meines Jenseitsteams, denn das mit dem zweiten Tod hatte ich nicht begriffen, ohne es zu wissen.) Ich kam an die Stelle des Jüngsten Gerichts (so heißt auch das Bild unten, Hans Rottenhammer d. Ä., 1564-1625) und las (20,12-15):

HANS-ROTTENHAMMER-D-AE_DAS-JUENGSTE-GERICHT_CC-BY-SA_BSTGS_45Ich sah die Toten vor dem Thron stehen, die Großen und die Kleinen. Und Bücher wurden aufgeschlagen; auch das Buch des Lebens wurde aufgeschlagen. Die Toten wurden nach ihren Werken gerichtet, nach dem, was in den Büchern aufgeschrieben war. Und das Meer gab die Toten heraus, die in ihm waren; und der Tod und die Unterwelt gaben ihre Toten heraus, die in ihnen waren. Sie wurden gerichtet, jeder nach seinen Werken. Der Tod und die Unterwelt aber wurden in den Feuersee geworfen. Das ist der zweite Tod: der Feuersee. Wer nicht im Buch des Lebens verzeichnet war, wurde in den Feuersee geworfen.

Dann folgt dieser trumphierende Satz:

Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde waren vergangen, auch das Meer ist nicht mehr. Ich sah die heiige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott her aus dem Himmel herabkommen; sie war bereit wie eine Braut, die sich für ihren Mann geschmückt hat.

Siehe, ich mache alles neu! Und die verstockten Sünder schreien im Feuersee; auf ewig, sagt die christliche Lehre.

Ω Ω

Schon die Ägypter 2000 bis 3000 Jahre davor ängstigten sich. Im Ägyptischen Totenbuch stehen die vielen Sprüche, die man dem Sterbenden vorlesen soll, damit er vorbereitet ist. Wir haben schon vom eher statischen Ka und dem beweglichen Ba gehört. Ba war vom zweiten Tod bedroht.

Ihn konnte man vermeiden, wenn ein göttergefälliges Leben geführt wurde. Im Jenseits spricht der Verstorbene sein Ka an:

2023-03-26-0001Sieh, fortsetzend mein irdisches Dasein,
Leb ich! Magisch gerüstet, voll Kraft,
Erschein ich vor dir! …

Das Böse, das ich getan, das Arggesinnte, das ich gesagt,
Halt mir’s nicht vor!

Ägyptologen haben Jahrzehnte über Ka spekuliert: Was er sei? Ein Doppelgänger des Toten, sein Schutzengel etwa? Die Seele nicht, denn die ist mit dem Verstorbenen ja unterwegs; vielleicht ist Ka so etwas wie die Daena der Perser, die sich verändert je nach dem gelebten Leben? Aber ich kann an einem Abend nicht klären, was Gelehrte lange Zeit beschäftigt hat. Der Körper sollte jedenfalls nicht verwesen, deshalb wurde er einbalsamiert. Der Körper, Ka und Ba und die Seele waren sozusagen eine Einheit.

2023-03-26-0003Jedenfalls hat der verstorbene Ägypter, wie es das Totenbuch will, eine anstrengende Reise vor sich. Er betritt Amenti, muss aber die richtigen magischen Namen nennen; kennt er sie, dann gelangt er in den großen Tempel und in das Heiligtum der Göttin Maat, wo auf der Gerechtigkeitswaage seine Taten gewogen werden. Er rezitiert das negative Glaubensbekenntnis, sagt also, was er an Bösem nicht getan hat (Papyrus Nu, Papyrus Nebseni) und fleht die Götter an, ihn nicht zu verurteilen. Schließlich darf er nach der Nennung weiterer geheimer magischer Namen in den letzten Saal eintreten, wo Thot ihn anspricht. Er solle den Namen der Gottheit nennen, dem er ihn melden solle. — Osiris. — Danach ist es geschafft. Der zweite Tod ist vermieden.

Von diesem zweiten Tod erfahren wir im Ägyptischen Totenbuch nur indirekt. Kapitel LXXXIX ist überschrieben mit Um die Seele mit dem Körper im Jenseits zu vereinigen. Da bittet die Seele die guten Geister:

2023-03-26-0002Gewähret Kraft meiner Seele, um einzudringen, 
Wo immer sie will; ernährt sie, wo immer sie weilt;
(Sieh, das Horus-Auge, flammend, taucht vor dir auf!)
Wie die guten Geister aus dem Gefolge Osiris‘,
Immer beweglich, nie sich niederlegend ins Grab;
Aber ach, in Junu, zu Tausenden
Ruhn in der Erde die Toten,
Für immer vereint mit ihrer verwesenden Hülle.
Denn die Macht bewahr ich über die Seele.
Mein geheiligter Geist weilt überall, wo sie ist.

Mein Geist, meine Seele, dann mein Ka und mein Körper … wer spricht hier eigentlich? Ba wird nie erwähnt. Vielleicht spricht ja das Herz (Ib), getragen von Ba, dem beweglichen Anteil. Im großen Tempel von Junu werden die Worte gewogen, das wusste man, und wer diese Prüfung nicht bestand, war vermutlich verworfen und musste den zweiten Tod erleiden: Sein Ba ging hinab und starb mit dem schon toten Leib. — Wer glücklich durch die Hallen kam und geläutert war, der konnte sich vervollkommnen und immer im ewigen Reich bleiben.

Ω Ω

Die Spiritualisten glauben an das Weiterleben und daran, dass man mit den Toten sprechen kann. Er entwickelte sich als religiöse Bewegung nach der Kommunikation der Geschwister Fox in Hydesville (New York) 1848 mit einem Geist. Ende des 19. Jahrhunderts entstand dann auch die Theosophie (Gottesliebe), eine umstrittene Gruppierung zwischen Glauben und Wissenschaft, die viele Anhänger hatte. Helen Blavatsky (1831-1891) führte sie, und Charles W. Leadbeater war ein wichtiger Theoretiker.

Was er in A Textbook of Theosophy schreibt, klingt ziemlich präzise. Nach dem Astralkörper nimmt die Seele den Mentalkörper an, um am Ende aller Tage in den letzten Körper zu wechseln, den Kausalkörper. Den Astralköper zu verlieren, ist eine Art Beförderung. Es geht in höheren Regionen weiter, mit noch feineren Körpern.

Nachdem das Ich (die Seele) seinen physischen Körper abgelegt hat, lebt es (sie) in einem Astralkörper weiter, bis die Kraft erschöpft ist, die durch die Emotionen und Leidenschaften seines Erdenlebens zustandekam. Wenn das geschieht, findet der zweite Tod statt; der Astralkörper fällt ebenfalls von ihm ab, und er findet sich im Mentalkörper wieder und in der unteren mentalen Welt. In diesem Zustand bleibt er, bis die Gedankenkräfte aus seinem physischen und astralen Leben erschöpft sind; dann lässt er das dritte Vehikel zurück und bleibt wieder einmal als Seele in seiner eigenen Welt, seinen Kausalkörper bewohnend.  

Also noch ein dritter Tod! Aber dieser liegt so fern, es ist kaum vorstellbar. Der Verstorbene jedenfalls sollte an sich arbeiten, um die Astralwelt verlassen zu können. Es könnte sein, dass der abgeworfene Astralkörper noch einen Restbestand von Bewusstsein besitzt und als astrale Hülle (astral shell) durchs All schwebt (erwähnt in dem Artikel Die Astralwelt (2). Niedere Geister können sich ihrer bedienen und damit Unheil anrichten. — Einfach ist das alles nicht, aber wir werden damit zurechtkommen.

 

 

 

 

 

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