TestpilotInnen (31): Henrik Ibsen

Henrik Ibsen (1828-1906), der norwegische Moralist, Gesellschaftkritiker und Theaterautor, sei ein Mystiker gewesen, meinte Anne Skjønsberg. Was er in seinem Drama Kaiser und Galiläer 1873 seinem Helden, dem römischen Kaiser Julian, zuschrieb, habe er vermutlich selber erlebt. Es ist eine klassische Entrückungserfahrung.

JulianJulian war Neffe von Konstantin dem Großen (337 gestorben), der das Christentum im Römischen Reich groß gemacht hatte. 360 kam Julian an die Macht und bevorzugte die Heiden, deren Heiligtümer zerstört worden waren. Julian diskutierte gern mit Neuplatonikern, schätzte die Juden und verschlankte die aufgeblähte Verwaltung. Bei einem Feldzug in Persien 363 fiel er, erst 33 Jahre alt. (Rechts eine Statue in Paris, die ihn angeblich zeigt. Fotograf: LPLT)

Bei Ibsen hört Julian auf den Philosophen Maximus, der von der Ankunft eines dritten Königreiches sprach. Das erste habe sich auf den Baum von Gut und Böse im Paradies bezogen (die Lust des Fleisches), das zweite auf den Baum des Kreuzes, an dem Christus hing (das Königreich des Geistes), und das kommende dritte Königreich werde beide in sich vereinigen, Geist werde von Materie, Materie vom Geist durchtränkt sein, und dieser Zustand werde eins sein mit dem Herrn: Logos in Pan, Pan in Logos.

Dann die Entrückung. Julians Körper habe sich in Geist verwandelt; »er war

tief in den Paradiesgärten gewesen; die Engel hatten ihre Loblieder auf mich gesungen, und ich hatte in ihrer Mitte das Licht wahrgenommen … Du weißt nicht, wie sehr der Geist der Erkenntnis mich füllte! — Es geschah in einer Nacht des Betens und Fastens. Dann spürte ich, dass ich weit fortgenommen wurde — weit hinaus aus dem Raum und hinaus aus der Zeit, obwohl der maresiciliaTag sonnig war und alles um mich herum schillerte, und ich stand auf einem Schiff mit eingeholten Segeln mitten im leuchtenden griechischen Meer. Die Inseln türmten sich wie leichte Wolkenkleider weit entfernt, und das Schiff lag schwer wie im Schlaf auf der schönen blauen Oberfläche …

Und, schau an, diese Oberfläche wurde mehr und mehr durchsichtig, leichter und dünner; schließlich gab es sie nicht mehr, und mein Schiff hing über einer leeren, schrecklichen Tiefe. Kein grüner Bewuchs, keine Sonne dort unten, nur der tote, schleimige, schwarze Meeresgrund in all seiner erschütternden Nacktheit. Doch oberhalb, in dem unendlichen Gewölbe, das mir zuvor so leer vorgekommen war — da herrschte Leben. dort nahm das Unsichtbare Form an, und die Stille wurde zu Tönen. — Dann begriff ich das große befreiende Wissen.

Sky-300x225Das, was ist, ist nicht; und das, was nicht ist, das ist … Das, was im Sklavenleben der Menschen Hoffnung gibt, das ist hinter dem Tod, und das genau ist der Ausdruck des großen Geheimnisses, das allen denkenden Brüdern und Schwestern dieser Welt in diesem irdischen Leben mitgeteilt werden sollte. Das ist die Erneuerung, die Maximus und seine Mitarbeiter suchen — das ist die heute eingebüßte Gleichheit mit der Gottheit.

Na ja, gerade das wichtigste Zitat wird mir im Englischen (übersetzt aus dem Norwegischen) nicht richtig klar. So ist das immer: Die großen Wahrheiten bleiben unvollständig und rätselhaft. Vielleicht komme ich mal an die Originalfassung. Es könnte aber ganz schlicht heißen: Nach dem Tod kommen wir zu Gott.

Dazu sei noch bemerkt, dass die Übersetzung vom dritten Königreich in der deutschen Version des Dramas Kaiser und Galiläer 1888 »Drittes Reich« lautete, wonach diese Vokabel immer häufiger zu hören war … und vermutlich haben sich die Nationalsozialisten diesen Begriff einverleibt. Von ihrem künftigen »tausendjährigen Reich« sprachen sie auch und werteten ihre Pseudo-Religion also mit einer Passage aus der Offenbarung (Apokalypse) auf, die kurz vor dem zweiten Tod und der Flammenhölle steht. Ein Engel wirft den Drachen nieder und fesselt ihn auf tausend Jahre. Der Autor sieht die Seelen aller, die Christus treu geblieben waren und ihm ihr Leben geopfert hatten:

Sie gelangten zum Leben und zur Herrschaft mit Christus für tausend Jahre. … Selig und heilig, wer an der ersten Auferstehung teilhat. Über solche hat der zweite Tod keine Gewalt. Sie werden Priester Gottes und Christi sein und tausend Jahre mit ihm herrschen.

Niemand, der bei Besinnung ist, konnte die Nationalsozialisten für eine Priesterschaft halten. Diese brutalen, primitiven Männer in ihren schwarzen Anzügen und Stiefeln pervertierten jeden religiösen Gedanken und entheiligten alles, was sie anfassten; diese hässlichen, schreienden Menschen mit ihren Waffen, diese maßlosen Mörder waren Priester des Satans.

 

 

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