Das Evangelium der Maria
Mai ist Marienmonat, klar, und manipogo hat etwas Schönes dazu ausgegraben. Da gibt es ein inoffzielles Evangelium der Maria, in dem Maria Madalena das Wort erheben und alle belehren darf. Das ist nicht lang und interessant.
Es gibt ja zur Bibel jede Menge Apokrypha, was griechisch ist und »versteckte Dinge« bedeutet. Die Seite mit den heiligen Texten aus den USA nennt 21 Schriften, die es nicht in die offizielle Bibel geschafft haben (oder die man entfernte) und irgendwann gefunden wurden, viele in Nag Hammadi 1945. Manchmal sind es Texte der Gnostiker, die Konkurrenten der Frühchristen waren, und manchmal vertraten sie auch Konzepte, die der Kirche nicht passten.
Das Evangelium der Maria ist ein koptisches Manuskript, stammt also von den Christen in Ägypten. Ein Auszug davon ist erhalten. Ob er authentisch ist, weiß man nicht; es könnte sich also auch um eine Schrift viel späterer Jahrhunderte handeln. Maria ist hier Maria Magdalena, die Schwester Martas und eine Freundin von Jesus Christus, von der es bei Lukas heißt:
Maria setzte sich dem Herrn zu Füßen und hörte seinen Worten zu.
Johannes in seinem Evangelium dazu:
Denn Jesus liebte Marta, ihre Schwester und Lazarus.
Zu Beginn des fraglischen Auszugs sagt der Heiland seinen Aposteln, gefragt nach der Sünde, sie existiere nicht als solche; jedoch geschlechtliche Sünden gebe es durchaus. Weil sie wider die Natur seien, folgten aus ihnen schreckliche Qualen. Alle Kreaturen müssten letztlich aufgelöst werden und zu ihrer Wurzel zurückkehren. Sie sollten aber trotzdem den Mut nicht verlieren.
Die Apostel aber verloren den Mut und jammerten: Wie sie das Evangelium den Heiden verkünden sollten, wenn alle sterben müssten, sogar der Messias? — Nun die Wende:
Dann stand Maria auf, begrüßte alle und wandte sich an ihre Brüder: »Trauert und leidet nicht, verliert auch nicht eure Entschlossenheit, denn Seine Gnade wird mit euch sein und euch verteidigen. Lasst uns lieber Seine Größe loben, denn er bereitete uns vor und machte uns zu Menschen.« Als Maria das sagte, fassten sie neuen Mut und begannen, die Worte des Heilands zu diskutieren.
Peter sagte zu Maria: »Schwester, wir wissen, dass der Heiland dich mehr liebte als andere Frauen (siehe Joh. 11,5; Lukas 10,38-42). Verrate uns die Worte des Heilands, die dir in den Sinn kommen, da du sie kennst; und wir tun das nicht und haben sie auch nicht gehört.«
Maria antwortete und sagte: »Was vor euch verborgen ist, werde ich an euch weitergeben.« Und sie begann die folgenden Worte zu ihnen zu sprechen.
»Ich«, sagte sie, »ich sah den Herrn in einer Vision, und ich sagte zu ihm: »Herr, ich sah dich heute in einer Vision.« Er antwortete mir: »Gesegnet seist du, da du vor meinem Anblick nicht erschrickst. Denn wo dein Herz (mind) ist, da ist auch dein Wesen.« (vgl. Matt. 6,21). »Ich sagte zu ihm, ›Herr, das Herz, das die Vision sieht, sieht es sie durch die Seele oder durch den Geist?‹ Der Heiland gab zur Antwort: »Es sieht weder durch die Seele noch durch den Geist, aber das Herz, das sich zwischen den beiden befindet, das die Vision hat, ist …«
Das Manuskript ist nicht vollständig und bricht manchmal ab. — Maria fuhr fort:
» …und das Verlangen sagte, ›Ich habe dich nicht herabkommen sehen; aber nun sehe ich dich aufsteigen. Warum sprichst du falsch, wenn du zu mir gehörst?‹ Die Seele antwortete: ›Ich habe dich gesehen, aber du hast mich weder gesehen noch erkannt; ich diente dir als Kleid, und du erkanntest mich nicht.‹ Nachdem sie das gesagt hatte, ging sie freudig und fröhlich davon. Erneut kam sie zur dritten Kraft, der Ignoranz. Diese Kraft befragte die Seele: ›Wohin gehst du? Du warst von Schlechtigkeit gebunden, ja, gebunden warst du. Richte nicht!‹ (vgl. cf. Matt. 7:1].
Und die Seele sagte: ›Warum richtest du mich, wenn ich nicht richtete? Ich war gebunden, obschon ich nicht band. Ich wurde nicht erkannt, aber ich erkannte, dass alles Freiheit erlangt, alle irdischen und himmlischen Dinge.‹ Nachdem die Seele die dritte Kraft hinter sich gelassen hatte, erhob sie sich und sah die vierte Kraft, die sieben Formen besaß. Die erste Form ist Dunkelheit, die zweite Verlangen, die dritte Ignoranz, die vierte das Emporkommen des Todes, die fünfte ist das Königreich des Fleisches, die sechste ist Weisheit und die siebte zornige Weisheit. Dies sind die sieben Bestandteile des Zorns.
Sie fragen die Seele: ›Woher kommst du, du Töter von Menschen, und wohin gehst du, du Eroberer von Raum?› Die Seele sprach: ›Was mich ergriff, ist getötet; was mich umherwarf, ist überwunden; mein Verlangen ist an ein Ende gekommen und die Ignoranz ist tot. In einer Welt wurde ich vor einer Welt errettet, und in einer Form vor einer höheren Form und vor der Fessel des machtlosen Wissens, deren Existenz zeitlich beschränkt ist. Von dieser Zeit an werde ich für die Zeit eines Augenblicks der Ewigkeit in Stille verweilen.‹
Als Maria das gesagt hatte, schwieg sie, da der Heiland ihr so viel gesagt hatte. Doch Andreas sagte zu seinen Brüdern: ›Sagt, was ihr davon haltet. Denn ich glaube nicht, dass der Heiland das gesagt hat. Denn diese Lehren sind sicherlich aus anderen Quellen.‹
Auch Peter widersprach ihr und fragte sie: ›Sprach er im geheimen mit einer Frau (vgl. Joh. 4,27) anstatt mit uns und nicht vor aller Ohren? Müssen wir uns zurückhalten und alle ihr zuhören? Zog er sie uns vor?‹ Da wurde Maria traurig und sagte zu Peter: ›Mein Bruder Peter, was denkst du? Denkst du, dass ich mir das in meinem Herzen ausgedacht habe oder dass ich lüge, wenn es hier um den Heiland geht?‹
Levi sagte zu Peter, ›Peter, du wirst immer gleich wütend. Jetzt sehe ich, dass du dich gegen die Frau wendest wie unsere Gegner gegen uns. Doch wenn der Heiland sie für würdig erachtete, wer bist du dann, sie zurückzuweisen? Gewiss kannte der Heiland sie sehr gut (wieder Lukas 10,38-42). Daher liebte er sie mehr als uns (Joh. 11,5). Und wir sollten uns eher schämen und versuchen, perfekt zu werden, wie er uns befohlen hat, und das Evangelium verkünden, ohne ein zusätzliches Gebot oder ein Gesetz, von dem der Heiland nicht gesprochen hat.‹ Als Levi das gesagt hatte, fingen sie an, hinauszugehen und Ihn zu verkünden und Ihn zu verehren.«
Das alles, was Maria sagte, klingt ziemlich dunkel und ist gewiss gnostisches Gedankengut: Da ging es immer um die versklavte Seele, die hienieden einen Körper annehmen muss und es nicht erwarten kann, aus ihrer Gefangenschaft — als solche galt das Leben auf Erden — zu entkommen. Andreas ist da schon auf der richtigen Spur.
Dazu: