Die Alchemie und die Seele

Diese Alchemie — was soll das eigentlich? Wir wollen ja kein Gold machen, und kochen tun wir höchstens mal für Freunde … Hat Alchemie noch irgendeinen Sinn? Das versuchen wir zu erklären und fangen mit Nathan Schwartz-Salant an, einem US-Therapeuten, der an Jung geschult ist und Bilder der Alchemie zur Heilung der Seele heranzog. 

2023-04-11-0003Durch eine langwierige Prozedur und über diverse Stufen und Farben will der Alchemist Gold erhalten. Doch in Wirklichkeit geht es darum, eine »chymische Hochzeit« zu vollziehen, aus der prima materia die beiden unterschiedlichen Stoffe Merkur und Schwefel zu isolieren, sie zu vereinen und mit der Hilfe von Salz zu einem höheren, edlen Zustand zu gelangen. Es ist etwas wie Destillation, um Weingeist oder Schnaps zu bekommen, also eine ordnende Tätigkeit.

Der Weg des »Großen Werks« im Sinne von Solve et coagula (löse und vereine neu):

CIMG0643Durch Feuer im Gefäß (Sublimatio) werden die gröbsten Unreinheiten der prima materia beseitigt; weiteres Erhitzen (Desecensio); wieder erhitzen, bis Dämpfe aufsteigen (Distillatio); Pulverisierung durch Feuer (Calcinatio) zur Reinigung, wodurch Merkur und Sulfur freigesetzt werden; durch Säuren wird das Pulver zu Wasser (Solutio); das Flüssige wird sodann fest gemacht (Coagulatio); weiteres Festmachen des Festen ((Fixatio); und: weichmachen, bis ein biegsamer Stoff entsteht (Ceratio).

Bei den Farben geht der Weg von Melanosis (Schwärzung: Nigredo) über die Leukosis (Weißung: Albedo) und Xanthosis (Gelbfärbung) hin zur Iosis (Rotfärbung: Rubedo). — (Nach: Helmut Gebelein, Alchemie, 2000). — Bild oben links: gesehen an einem Haus in Lindau im Bodensee. Roter Löwe nannte man den Stein der Weisen oder das Elixier der Unsterblichkeit.

Das kann man auf geistige Prozesse in unserer Welt münzen. Einmal hatte ich das Gefühl, Alchemie betrieben zu haben: Als ich mein Placebo-Buch schrieb. Ich musste dafür vielleicht 70 oder 80 Bücher lesen und exzerpieren, was 9 Monate dauerte. Dann ging es darum, die Essenz des Gelesenen herauszufiltern und weiter zu konzentrieren, bis 200 Druckseiten zusammenkamen. Dabei muss man auch Gegenargumente einbinden und entschärfen, kurz: Überzeugungsarbeit leisten, was eine Art von (subjektiver) Versöhnung von Gegnern darstellt. Alle, die ein Thema bearbeiten und vor einer Fülle an Material stehen, gehen so vor.

Denken wir uns einen Menschen mit psychischen Problemen. Das Selbst ist zersplittert; es setzt Spaltungsmechanismen ein, wehrt ab und greift an und versucht, zu überleben. Aber es ist ein andauernder, ermüdender Kampf. Es muss möglich sein, dieses Selbst zu heilen. Der Weg dorthin ist nicht unähnlich der alchemistischen Prozedur. Widerstände müssen überwunden, Chaos und Verzweiflung in Kauf genommen werden, bis vielleicht endlich gewisse Vereinigungen eintreten, die zu Klarheit und einem veredelten Zustand führen, der sich im Leben bewährt.

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Gebelein schreibt:

Für (Carl Gustav) Jung ist die ganze alchemistische Arbeit ein Individuationsprozess, ein Finden des Selbst. Der erste Schritt des Individuationsprozesses ist, das Unbewusste, das Dunkle, den Schatten zu akzeptieren und in die Person zu integrieren, die vorher nur das Helle, das sozial Akzeptierte kannte. 

Also eine Hochzeit zwischen Dunkel und Hell, und, konkreter, eine Vereinigung mit dem Therapeuten, der als Katalysator dient und den Prozess überwacht. Wer neu aus der Prozedur auftaucht, sollte die Patientin sein.

Nathan Schwartz-Salant, an dem Alchemie-Kenner Carl Gustav Jung geschult, hatte viel mit Borderline-Patienten zu tun, die kein gut entwickeltes Selbst besitzen. In einem Buch von 1989 hat er schön dargestellt, dass der Weg zur Heilung durchaus dem alchemistischen Weg folgt, wie ihn etwa die Holzschnitte von 1550 von Cyriacus Jacob aus dem Rosarium philosophorum Frankfurt nachspielen. Die 20 Bilder des Rosario zeigen:

1 Der Mercurbrunnen 2 König und Königin 3 Die nackte Wahrheit 4 Das Eintauchen im Bade 5 Die Coniunctio (Vereinigung) 6 Der Tod 7 Der Aufstieg der Seele 8 Die Reinigung 9 Die Wiederkehr der Seele 10 Die neue Geburt 11 Die Gärung 12 Das Leuchten 13 Die Nahrung 14 Die Fixierung 15 Die Vermehrung 16 Die Wiederbelebung 17 Die Vollkommenheit 18 Die Beschämung 19 Die Krönung 20 Die Wiederauferstehung.

SDC11218In diesen Bildern gibt es immer wieder Rückschläge — den Tod, das Gären, Beschämung —, bis endlich der Sieg da ist. Es bildet irgendwie den Lebenszyklus ab und ähnelt in gewisser Weise den 22 Großen Arkana des Tarot, die mit dem Narren beginnen, der sich auf den Weg macht und viele Krisen zu meistern hat (der Tod, der Gehängte, der Turm, in den der Blitz schlägt), bis er am Ende triumphiert und sich seines Selbst sicher ist.

Schwartz-Salant schildert eine Erfahrung mit einer Patientin so:

Dies war ein Erlebnis des feinstofflichen Körpers. Die Coniunctio war »aus der Zwei« entstanden. In dem Axiom der Maria heißt es: »aus Zwei wird Drei«, und die entstandene Verbindung zu einem symbolischen Gefühl der Einheit wird als »das Eine ist das Vierte« bezeichnet. … Es war ein heiliges Ereignis, ein Moment der Gnade und vielleicht auch Ergebnis des Glaubens an ein Hintergrundgefühl der Einheit.

Morgen mehr.

 

 

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