Die komische Illusion

Gehen wir wieder zurück ins 17. Jahrhundert, nach Frankreich. Pierre Corneille (1606-1684) schrieb 1639 das Theaterstück »L’illusion comique«, das einen zu Überlegungen zum Theater und zur Illusion verleiten kann. Das Zeitalter damals nannte man Barock, und da dachte man anders, ganz anders als heute.

DSCN1684Die Handlung ist dabei gar nicht so wichtig. Pridamant begibt sich zu dem berühmten Zauberer Alcandre, weil er betrübt ist: Er hat seinen Sohn Clindor verstoßen und sucht ihn überall. Da führt ihn der Zauberer in seine Höhle und zeigt ihm, was sein Sohn erlebt. Das mag an das berühmte Höhlengleichnis von Plato erinnern, der meinte, die Menschen sähen ihre Welt wie einen Film, wie Schatten an der Wand, doch das sei nicht das Wahre. Pridamant sieht die Liebesaffären seines Sohnes, der endlich ins Gefängnis wandert und vom Tode bedroht ist … doch das alles ist nur ein Theater im Theater und also eine Posse.

001Theater ist ja eine Illusion, aber wenn wir ein Stück sehen, nehmen wir es für bare Münze; wir gehen mit der Handlung mit und sind bewegt, und so hatte sich das Aristoteles auch gedacht: Emotion, Katharsis (Reinigung) und Besserung. Geläutert und erschöpft kommen wir aus dem Theater. (Bertolt Brecht dagegen wollte Distanz und Vernunft; wenig Emotionen wollte er, und man solle sehen, dass es Theater sei und mithin unecht, gemacht.) Filme sind ja auch so: Sie verstricken uns in Emotionen.

Wenn uns aber im Stück ein weiteres Theaterstück vorgeführt wird, kommt die Illusion zutage. Das könnte ins Unendliche weitergeführt werden: ein Stück im Stück im Stück im Stück. Das ganze Leben ist ein Theaterstück, das wir zu ernst nehmen. Erst ein gewisser Abstand lässt uns uns selbst als Akteure wahrnehmen, die oft genug automatisch und reflexartig handeln.

Aber möglich ist das nur, wenn wir wissen, dass es mehr gibt als diese Bühne; dass wir in diesem kurzen Leben uns nur vorbereiten für ein nächstes: für weitere Einsätze, für mehrmalige Wiederholungen und Neuaufnahmen, wobei wir (moralisch) immer besser werden sollten.

Doch dieser Gedanke ist uns abhanden gekommen, darum sind wir, hier lebend, in einer Illusion befangen. Die Barockdichter und -maler wussten das. Sie zeigten uns erfundene Fenster und Theaterstücke im Theaterstück, sie wussten um die Zerbrechlichkeit unserer Existenz und deren Kürze, sie thematisierten den Tod und die Verklärung. Sie spielten etwas herum, weil sie sich sicher waren, dass es mehr gab als nur diese Existenz.

Für die meisten von uns gibt es nur diese Existenz. Darum muss man hierbleiben, und der Aufenthalt ist bitterer Ernst. Doch wer die Anderswelt nicht kennt, kann auch die diesseitige Welt nicht richtig verstehen und macht sich Illusionen. Die Hindus nannten es, wenn man die Welt wörtlich nimmt und nur an ihr klebt, maya: Illusion. Wer nur sein Ich und diese Welt kennt und keine transzendente Kraft akzeptiert, leidet unter ajnana (Ignoranz) und ist in maya befangen.

.

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.