Hölle und Himmel

Umgedreht sind wir es gewohnt: Himmel und Hölle. Da war ein Tag Mitte Mai, da fuhren François und Jerôme auf dem Tandem und ich hinterher durch den Feierabendverkehr von Bergamo und durch das Kommerzviertel, überholt werdend von Tausenden Rasern. Das war ziemlich höllisch. 

Dann erreichten wir das Hotel, das für die beiden gebucht war: Life Hotel, ein Glaspalast auf grüner Wiese Nähe Krankenhaus, das irgendwie mit Rehabilitations- und Gesundungseinrichtungen verknüpft war. Edle Eingangshalle. Der Bedienstete hinter dem Tresen hatte nur noch ein Luxus-Einzelzimmer für mich, Kostenpunkt 190. Was willst du da machen? Du bist müde und hast keine Lust mehr, woanders zu suchen. Nimm es.

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(François lud mich zum Trost zum Abendessen ein; dann hatte ich vier Übernachtungen auf dem Campingplatz zu je 6 Euro und später 10 Übernachtungen bei Freunden, so wurde die hohe Ausgabe abgefangen.)

So ein Hotel ist das Maximum an Luxus, sollte also der Himmel auf Erden sein. In Wirklichkeit war es eine dürftig maskierte Hölle. Wenn du das Zimmer betrittst, begrüßt dich persönlich eine Schrift auf dem Bildschirm: Dear Mr. …, welcome und so weiter. Auf Englisch. Du kannst dich mit allen möglichen Medien verbinden und deine elektrobnische Post lesen. Doch die Korridore auf dem Stockwerk bleiben leer. Die Hotelhalle ist leer.

So stelle ich mir die Hölle der Zukunft vor: alles elektronisch verdrahtet, aber kein Mensch. Wer würde hier gesund werden? Paracelsus sagte vor 450 Jahren: »Der Mensch ist die beste Medizin des Menschen.« Doch man ist dabei, den Menschen abzuschaffen, denn einige reiche Menschen sind der Meinung, dass der Mensch zu teuer ist. Sie wollen ja noch reicher werden. Maschinen machen kaum Fehler und sind leicht austauschbar. Der Mensch wurde entweder durch eine Maschine ersetzt oder ist nur noch Teil einer Maschine, als Cyborg mit Smartphone.

(Mir immer noch unverständlich: In Noceto, viel später, gingen 6 jüngere Menschen, vielleicht Lehrer und Schüler, gemeinsam zum Essen. Gleich nachdem sie Platz genommen hatte, widmete sich jeder der 6 andächtig seinem Smarttphone.)

Es war wenig los in dem Hotel in Bergamo. Vielleicht ist es jetzt schon eine Investitionsruine. In der Hölle ist immer viel Raum und viel Kälte. Alle sind sich fern, keiner berührt sich. Eine Gruppe junger Männer und Frauen, einheitlich gekleidet (blaues Kostüm für Frauen, blauer Anzug für Männer) war kurz draußen, und sie sangen sogar. Es wirkte, als seien sie von einer Sekte, und sie redeten im Aufzug auch irgendwie gestelzt und unnatürlich miteinander. Ich glaube, es waren Mitarbeiter einer Pharmafirma, Vertreter vielleicht, die man auf ein gemeinsames Ziel einschwor oder einpeitschte.

Die Hotel-Mitarbeiter sind Teil des Systems und können nichts dafür. Wenn du sie persönlich ansprichst, werfen sie ihre Maske ab und sind hilfsbereit. Hoffentlich schaffen sie es rechtzeitig, wegzukommen, damit ihre Seele keinen Schaden nimmt.

Und der Himmel, der echte Himmel? Ich denke, das ist ein Platz, wo sie dich mit ehrlicher Freude willkommen heißen. (Das wäre wichtig im Pflegeheim. Auch die Angehörigen wollen sich wohl fühlen und nicht als Störer des Betriebs. Ich habe alle immer freundlich begrüßt.)

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Ein Himmel war zum Beispiel unser mehrtägiges Treffen in Cremona. Da waren einfache, wohlmeinende Menschen aus acht oder mehr Ländern zusammen, 260 vielleicht, und alle waren einander gewogen. Man lächelte einander zu, es wurde getrunken und getanzt und Blödsinn gemacht, ach, was für ein Leben, was für eine Lebensfreude unter Menschen, die ihre Lebensmitte längst überschritten hatten! Wenige konsultierten ihr Smartphone, wir schauten uns in die Augen oder aufs Teller oder ins Glas. Zum Fröhlichsein braucht es nicht viel.

Passt auf, was euch als Himmel verkauft wird! Oft ist es ein Geschenk des Satans, eine maskierte Hölle.

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