Ununterbrochen begeistert

Meine beiden Pfingst-Predigten schrieb ich schon fast vier Wochen vorher. Wenn’s auch nur 300 Menschen lesen, bin ich damit immer besser dran als der Pfarrer, der manchmal nur 40 Schäflein vor sich hat. Ich habe aber auch eine neue Interpretation des Heiligen Geistes gefunden.

2021-04-29-0003So neu ist das auch wieder nicht, aber was verschollen ist und in einem Buch steht, kann wie etwas Neues wirken. Erst die altbekannte Vorgeschichte. Die Apostel waren beisammen, als ein Brausen vom Himmel her auftrat wie ein heftiger Sturm.

Und es erschienen ihnen Zungen wie von Feuer, die sich verteilten: auf jeden von ihnen ließ sich eine nieder. Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.

Jesus Christus hatte ein paar Wochen davor, vor seiner Himmelfahrt (am 18. Mai), gesagt, er gehe zum Vater und hinzugefügt:

Ich sage euch die Wahrheit: es ist gut für euch, dass ich hingehe, denn wenn Ich nicht hingehe, wird der Tröster nicht zu euch kommen; gehe Ich aber hin, so werde Ich Ihn zu euch senden.

_DSC1649Der alte Schott von 1939 erklärt, was dieser Tröster tut:

Der heilige Geist ist auch den einzelnen Gliedern der Kirche mitgeteilt: den Seelen, und wirkt in ihnen das Leben der Gnade und Tugend sowie die kostbaren Früchte des Geistes: »Liebe, Freude, Friede, Geduld, Milde, Güte, Sanftmut, Treue, Mäßigkeit, Enthaltsamkeit, Keuschheit«. … Weil Rot die Farbe des Feuers und der Liebe ist, so ist es auch die kirchliche Farbe der Geistessendung. 

Der Geist Gottes reinigt also und verklärt (Feuer ist immer ein Sinnbild der Transformation, der Wandlung; und Rot ist in der Alchemie die Farbe des Triumphes, der Vereinigung der Gegensätze), und er will uns zu einem richtigen Leben führen. Der Psychiater Schwartz-Salant, der uns in der Reihe Alchemie und Seele entgegentrat, ist ja Jungianer, also einer, der nach den Lehren von Carl Gustav Jung ausgebildet wurde. Er schilderte:

SDC10746Jungs Forschungen über die Wandlung des patriarchalischen Gottesbildes führten ihn dahin, das Numinose (Göttliche) als Energie zu begreifen, die zum inneren Zentrum eines Menschen werden kann. Dieser Verkörperungsprozess ist jedoch niemals abgeschlossen; Jung verglich ihn mit der ununterbrochenen Inkarnation des Heiligen Geistes, der »auf der menschlichen Seite als Individuation erscheint«. In Objektbeziehungstheorien ist die Schaffung einer stabilen und organisierten inneren Welt auch ein wichtiges Ziel.

20180926_110042Ich möchte sagen: Die göttliche Energie ist als Lebensfunken bereits des innerste Zentrum des Menschen, ohne den es ihn nicht gäbe. Doch dann wächst der Mensch heran und will ein eigenständiges Wesen werden, das sich in der Welt behauptet: ein Individuum (das Unteilbare). Der Heilige Geist — wenn wir heute, an Pfingsten, beim Christentum bleiben — hilft ihm dabei, indem er ihm die Werte vorgibt, die sich in allen Religionen gleichen und die etwa im Gewissen zusammenkommen. Das Gewissen sagt uns untrüglich, was gut oder falsch ist. Indem man sich vom Geist leiten lässt, bewegt man sich auf dem richtigen Pfad.

Natürlich kann der Geist sich auch als Inspiration, Begeisterung oder Eingebung äußern oder als gute Hinweise von guten Menschen; und wenn wir den Gedanken der heiligen Geister des Theologen vom Kanton Appenzell beherzigen, sind es eben Engel oder der Geistführer, die uns etwas Sinnvolles einflüstern. Wie bekommen jedenfalls Führung, wenn wir das wollen, und ihr sollten wir bis zum Lebensende folgen.

Vorher haben wir uns einer Gruppe oder Firma angeschlossen und vielleicht eine Familie gegründet, haben uns also untergeordnet, und dann müssen wir nicht mehr unbedingt Einzelkämpfer sein. Die Individuation und die Entwicklung unseres Wesens war ein wichtiges Ziel, das eines Tages nicht mehr wichtig sein wird. Wir lassen es hinter uns; wir sehen ein, dass unser Ich so kostbar nicht ist, denn es gibt andere Ziele. Wir gehören zu einer Gemeinschaft, wir alle gehören zusammen, wir helfen uns gegenseitig. Die Arbeit am Ich hört zwar nie auf, aber letztlich sollen wir uns verschenken an andere, sollen, wie Swedenborg erfuhr, die Liebtätigkeit beherzigen und Nutzanwendungen schaffen und damit dem Schöpfer dienen.

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