Wieder eine Feder

In unserem Remen-Festival nun zwei kleine Geschichten mit Jenseits-Touch: Wer drei Jahrzehnte mit Krebskranken zu tun hatte, erlebte oft den Tod mit und manche Erzählung obendrein. Die Bücher von Rachel Naomi Remen kann man nicht aus der Hand legen. Es gibt sogar ein neues! 

51bS4XSbzhL._SX260_22 Jahre nach Aus Liebe zum Leben (im Original: My Grandfather’s Blessing — tatsächlich ist der Segen, den ihr Großvater regelmäßig dem Leben spendete, darin ein roter Faden) kam nun im vergangenen Herbst ein neuer Band von Rachel auf den Markt: The Birthday of the World. Darin erzählt die Autorin die Erschaffung der Welt nach und das Eindringen des göttlichen Funkens in jeden von uns, wie es der Kabbalist Isaak Luria vertrat. Mittlerweile ist Rachel Naomi Remen 85 Jahre alt und ein gefeierte, geachtete Kämpferin für mehr Herz und Seele im Medizinbetrieb.

Zwei Episoden aus Grandfather’s Blessing sollen es noch sein. Die Krankenschwester Cynthia, die in einem Hospiz arbeitete, lernte dort den gutaussehenden Edward kennen. Leider hatte er Aids und ein entstelltes Gesicht; er würde sterben müssen. Seine Familie hatte ihn verstoßen, und er hatte Angst vor einem einsamen Tod. Cynthia versprach, sie werde bei ihm sein. Doch dann hatte sie das Wochenende frei und erfuhr am Montag darauf, Edward habe sich selbst entlassen und sei daheim gestorben, vermutlich allein. Dort fand sich ein Zettel mit ihrer Telefonnummer und der an sie gerichteten Bemerkung: »Da hast mich gesehen, und ich bin dankbar dafür.«

Cynthia machte sich Vorwürfe. Eine Woche danach träumte sie, Edward komme ihr entgegen und musterte sie, während sie ihn nicht ansehen konnte. Auch am Tag sah sie ihn für kurze Momente und dachte schon, sein Geist verfolge sie. Dann riet ihr Rachel Remen, etwas zu tun. Ihn anzuschauen. Bei einer Imaginationsübung sah sie ihn, sah ihn an, und er wollte anscheinend etwas sagen. Was war anders? Cynthia sagte:

»Es ist sein Gesicht. Er ist gekommen, um mir sein Gesicht zu zeigen, Rachel. Seine Haut ist perfekt. All die Tumore in seinem Gesicht sind verschwunden. … Sein Gesicht strahlt.«

Dann sah sie ihn nie wieder und träumte nicht mehr von ihm. Die Autorin, als Medizinerin immer zurückhaltend:

Manchmal denke ich, dass wir im Tod unsere Ganzheit wiedergewinnen, nicht nur die Sterbenden, sondern auch die Hinterbliebenen. 

Ø

thgruAhiro, ein japanischer Geschäftsmann, hatte auch nicht mehr lange zu leben. Immer wieder hatte der elegante und gebildete Mann herauszufinden versucht, was Rachel Remen über die Zeit nach dem Tod denkt. Auch da hielt sie sich zurück und deutete nur vorsichtig an, da könne etwas sein. Ahiro sagte, sollte da etwas sein, werde er als weißer Kranich zurückkehren »und Ihnen irgendein Zeichen geben, damit Sie wissen, dass Sie Recht behalten haben«.

Er mimte sogar mit schräg gelegtem Kopf einen Kranich, so dass beide lachen mussten, und die Ärztin hielt es für etwas theatralisch, als großer, weißer Vogel aufzutauchen (im Link zu dem Walcott-Gedicht ist der weiße Vogel allerdings ein Todesbote).

»Ja«, sagte er grinsend, »aber das ist nicht mein Stil. Ich bin eher ein Minimalist.«
»Vielleicht finden Sie ja einen anderen Weg«, sagte ich. Er sah mich für einen Moment mit einem wohlkalkulierten Schweigen an. »Ich werde etwas tun, das Sie erkennen werden«, sagte er plötzlich sehr ernst. 
Einige Monate später starb dieser bemerkenswerte Mann. Kurze Zeit später war ich im TransAmerica Building, einem großen pyramidenförmigen Gebäude im Geschäftsviertel von San Francisco. Ich war auf dem Weg zu einer Verabredung und wartete auf den Aufzug.

spule-3901140Und auf dem Boden des Aufzugs lag »eine einzige große, vollkommen weiße Feder«.

Natürlich ist auch das für sie kein Beweis, wie es auch für Louise Hamlin keiner war. Die Autorin schreibt:

Ich weiß immer noch nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, aber das ist vielleicht auch gar nicht der Punkt, auf den es ankommt.

Für sie kommt es auf ein Gefühl von Ehrfurcht und Lebendigkeit an, das Mysterium … doch ich finde, da hat sie ihre alte Ärztinnen-Biografie nicht ganz abschütteln können. Sehr wohl kommt es darauf an, ob es weitergeht oder nicht!

Ø

2023-06-22-0001Auch in dem Buch Illusionen von Richard Bach (1977) stoßen wir auf eine Feder, die sogar den Umschlag der italienischen Ausgabe ziert. Bach, 1936 geboren, wurde 1970 mit dem Buch Die Möwe Jonathan weltberühmt (wir hören bald mehr davon). Für eine große Illusion hält der Pilot und Messias wider Willen Donald Shimoda die ganze Welt; wenn man das eingesehen habe, könne man auch heilen oder über Wasserflächen laufen. Man könne sich auch immer etwas vom Universum wünschen — und der Erzähler wünscht sich eine blaue Feder.

Schließlich sieht er sie auf einer Milchtüte als Symbol des Herstellers. Dennoch ist er beeindruckt. Shimoda deutet an, dass, hätte er den Wunsch anders formuliert, er durchaus eine leibhaftige Feder hätte finden können.

 

 

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