Stifters Prosa

Die Prosa von Adalbert Stifter (1805-1868) ist das Gegenteil dessen, wie heute geschrieben wird. Das liest man nur, wenn man die Sprache liebt, Zeit keine Rolle spielt und man eintauchen will in eine literarisch gestaltete Welt. W. G. Sebald hat Stifters Stil bewundert und schrieb ebenso abgehoben-zeitlos, sich über schier endlose schöne Sätze verbreitend. Literatur sollte so sein.

Manch ein Kritiker hat bemängelt, Adalbert Stifter habe viele Dinge geschildert, die nicht unbedingt nötig gewesen wären. Aber was ist schon notwendig? Wollen wir nur ein Gerüst mit Handlung drin? Romeo und Julia, die Handlung in 5 Sätzen geschildert, ist nicht Romeo und Julia von Shakespeare. Wir wollen in einem Stück Literatur leben und mögen es gut ausgemalt. Das Zwecklose ist unersetzbar, und Zwecklos-Schönes gibt es vieles auf der Welt, im Überfluss geradezu. Wollte man sich darüber beklagen?

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In Frühjahr las ich 800 Seiten Der stille Don von Michail Scholochow, jeden Vormittag zwei Kapitel. Ich freute mich stets auf den kommenden Morgen. Da war nach meiner Meinung alles drin, alles war richtig, Menschen und Natur und Kleinigkeiten, da hatte ein Autor ein Gespür für das Ganze und zauberte uns eine ganze Welt hin mit ihrer Grausamkeit und ihrer Sanftheit: Liebe, Krieg, Familie, Arbeit und Tod.

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Die ersten Sätze bei Stifter sind Schilderungen der Örtlichkeit; sie sind wie ein Geländer, an dem wir den Innenraum der Geschichte betreten und uns umschauen. Dann lassen wir uns führen, und mag’s auch in Zimmer hineingehen, in denen es Schmerz anzusehen gibt (doch bei Stifter ist das meiste positiv, der Mensch ist bei ihm gut).

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Und es endet, wie es eben endet. Ein Paar findet zusammen und heiratet; das braune Mädchen aus dem Wald, das scheu ist und sich nur widerstrebend einer netten Familie anschließt, verschwindet und ward nicht mehr gesehen. Wir lassen uns führen von Meisterhand, wohin sie uns auch führt.

 

 

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