Hildebrandts Denkzettel
Aus einem Telefonhäuschen im Ort, das ausrangierte Bücher enthält, holte ich mir das Buch Denkzettel von Dieter Hildebrandt. Ihn kann man gut lesen, und er hat uns junge Linke ja Jahrzehnte begleitet und Kraft gegeben. Er, Gerhard Polt und die Biermösl-Blosn hielten neben anderen die Fahne der Freiheit und Toleranz im katholisch-christsozialen Bayern hoch. Einen dicken Dank euch allen!
Das Buch Denkzettel ist von 1992. Warum habe ich immer Bücher vor mir, die 30 Jahre alt sind? Da frage ich mich, was sich seither geändert hat und muss sagen: wenig. Die Politiker sind weniger dumm und borniert, dafür werden wir von allen Seiten mit Meinungen zugetextet. Wie hätte der Dieter Hildebrandt, der 2013 mit 86 Jahren starb, auf die drei Jahre Corona reagiert?
Vieles könnte man zitieren; ich begnüge mich aus aktuellem Anlass mit einer damaligen Geschichte. Im Hamburger Hafen war die Wasserpolizei in einem Schiff auf Panzer gestoßen, die als »landwirtschaftliche Nutzfahrzeuge« deklariert waren. (Der Landwirtschaftsminister hieß damals Ignaz Kiechle, CSU, und wusste nichts.) Sie sollten nach Israel gehen, doch eigentlich — eigentlich! — durfte Deutschland keine Waffen in Spannungsgebiete liefern. Spannungsgebiete? Hildebrandt:
Außerdem müssen wir, das ist seit längerem eine Forderung von Abgeordneten, die unsere Rüstungsindustrie betreuen, das Wort Spannungsgebiete neu definieren! 260.000 Arbeitsplätze wären in Gefahr, wenn wir uns an dieses Gesetz halten würden. Aber dort liegt das eigentliche Spannungsgebiet.
30 Jahre später denkt man daran. Am 8. Juli stand als Überschrift in der Badischen Zeitung, Streubomben würden in die Ukraine geliefert. Den Artikel muss man lesen, da kommt alles klar zutage. Die »umstrittenen Streubomben« heißt es da … und ein paar Absätze weiter, dass 120 Staaten diese schreckliche Waffe geächtet haben, weil sie vielen Zivilisten das Leben kostet. Sie schleudert winzige Teile in alle Richtungen, und alles wird durchsiebt. Die USA, die Ukraine, Russland und China unterzeichneten das nicht. Sie wollen diese Dinger einsetzen oder an ihnen verdienen.
Ja, man muss alle Zitate genau lesen, und glasklar treten uns da Heuchelei und Zynmismus entgegen. Die amerikanische Regierung bedaure, dass es Opfer geben könne, darum habe sie so lange mit der Entscheidung gewartet, lautete ein von Biden genehmigtes Zitat. Doch letztlich war’s wichtiger, für 800 Millionen Dollar die Bomben zu verkaufen. Waffen sollen ja töten, das ist ihr Sinn.
Die USA haben den größten Militäretat der Welt und kaufen vermutlich auch in Deutschland Waffen, darum keine Kritik an diesem fürchterlichen Deal vom Berliner Regierungssprecher: »Unsere Freunde« hätten es sich gewiss nicht leicht gemacht mit ihrer Entscheidung … Ja, so sind sie, unsere Freunde jenseits des Atlantik. Sie denken auch mal nach, bevor sie feuern. Und unsere Regierung verbeugt sich pflichteifrigst und billigt das.