Der N-Kutscher von Haiti

Ich dachte immer, das ominöse »N-Wort« habe etwas mit den Nazis zu tun. Nun begriff ich. In Baden-Württemberg wird das Buch Tauben im Gras nicht mehr in die Abi-Lektüreliste aufgenommen, weil es angeblich mindestens 100 Mal das N-Wort verwendet. Sagten sie gestern im Radio. Schon Ende März wurde über Koeppensche Buch gesprochen, das rassistische Stereotype wiedergibt: Wie die Leute damals redeten.

Demnach dürfte man keine Auszüge von Reden nationalsozialistischer Politiker mehr verwenden. Koeppen wollte zeigen, wie die Bevölkerung damals dachte, und bislang galt das Buch als ein Meisterwerk. Doch ein Buch wird immer neu und anders gelesen, und jetzt  übt man eben Kritik.

Wir denken an die Rede von Philipp Jenninger am 10. November 1988 zum Gedanken an die Pogromnacht 1938. Er wollte verdeutlichen, wie es zu den Exzessen gekommen war und zitierte im Bundestag direkt hässliche Passsagen; doch die Zitate wurden missverstanden. Man argwöhnte, Jenninger habe sich die Parolen der Nazis zu eigen gemacht, und er musste sogleich von seinem Amt als Bundestagspräsident zurücktreten. Als man den Redetext las, begriff man, wie es gemeint war. Da reagierten Abgeordnete kurzschlusshaft. Intelligente Leute hörten nicht richtig hin und waren entsetzt.

Die Nationalsozialisten ließen damals Bücher von jüdischen Autorinnen und Autoren verbrennen. Wir nun, 80 Jahre später, erstellen aus anderen, uns erhaben dünkenden Gründen andere schwarze Listen und verüben damit ebenfalls einen Anschlag auf die Kultur. Wir bauen uns eine sterile Welt und fangen bei den Abiturienten an.

loretoStatt Tauben im Gras soll nun der Roman Transit von Anne Seghers (1900-1983) eingesetzt werden, die sehr geschätzt wird. Das siebte Kreuz ist ein anderes großes Buch von ihr.

Freilich sündigte sie in ihren »karibischen Geschichten« Die Hochzeit von Haiti  ebenfalls. In der Titelgeschichte finden wir schon auf Seite 20 das N-Wort vier Mal, und wer weiß, wie oft noch auf den 250 Seiten! Die Geschichten spielen eben in Haiti, und damals — um 1940 — nannte man die dort lebenden Menschen so. Wenn das jemand merkt außer manipogo, ist die Seghers auch aus dem Rennen.

Im Radio sagen sie »N-Wort« und beschwören damit das herauf, was sie ignoriert wissen wollen. Denken Sie nicht an einen blauen Elefanten! — Wie absurd das alles ist!

Schon in Das Zeitalter der Lüge hatte sich manipogo darüber verbreitet. Nun entsteht eine breite gesellschaftliche Diskussion, die von Verblendung zeugt. Als nächstes wird man Bücher zensieren, in denen das A-Wort verwendet wird, und dann kommt das S-Wort dran, und man braucht nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, was ich damit meine. In so einem Klima hat man kene Lust mehr, etwas zu schreiben.

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