O wie Oberlin

Endlich war ich in Form, legte mein Rennrad in den Volvo und fuhr 80 Kilometer bis nördlich von Sélestat in den Vogesen. In dem kleinen Ort St. Maurice stellte ich den Wagen ab und legte mit dem Rad die 40 Kilometer zurück zum Oberlin-Museum in dem kleinen Ort Waldersbach. Sprechen wir also über Oberlin und über den verrückten Dicher Lenz, der mit ihm verknüpft ist.

Mein kleiner Fotoapparat meldete: Karte verriegelt. Dann sagte er mir: Speicher voll! Konnte nicht sein, ich hatte alle Bilder heruntergeladen. Ein paar Fotos machte ich, doch zu Hause war nichts drauf. Also keine Fotos von Waldersbach und dem Museum. Sch…ade.

imagesJohann Friedrich Oberlin wurde 1740 in Straßburg geboren, sprach aber deutsch. Er studierte (evangelische) Theologie und wurde Hauslehrer. Durch Vermittlung eines Pfarrers erhielt er die Pfarrei Waldersbach, die aus 5 Gemeinden und 3 Weilern bestand. 1767 trat er seinen Dienst an und blieb 59 Jahre bis zu seinem Tod 1826. (Es war auch das Jahr, in dem Hebel starb, Johann Peter, der alemannische Dichter.) Heute gilt Oberlin als wegweisender Pädagoge und als einer der Väter des Kindergartens. Als Pädagoge muss man ihn neben Pestalozzi, der zu seiner Zeit lebte, und der Montessori nennen. Johann Friedrich Oberlin erklärte, man solle seine Kinder nicht mit zuviel Strenge erziehen, sondern mit Liebe und ohne Spott.

Erst lebten dort im Steintal nur 100 Familien kärglich, doch durch Oberlins Wirken vermehrte sich die Einwoihnerzahl bis 1800 auf 3000. Der Pastor und Lehrer ließ Straßen und Brücken bauen, gründete Industrieunternehmen, eine Bank und eine Leihbibliothek. Er stellte 8 Erzieherinnen an und bemühte sich selbst, den Kindern die ungewohnte französische Sprache nahezubringen. Oberlin baute also ein richtiges Sozialwerk auf und war auch der Meinung, der Mensch solle sich ganz und gar der Allgemeinheit widmen.

Jakob Michael Reinhold Lenz wurde 1751 geboren und schrieb 4 Theaterstücke. Er traf in Weimar Goethe, aber Lenz war psychisch instabil und unberechenbar; irgendetwas Blödes richtete er in Weimar an, weshalb ihn Goethe, der von Lenzens Eseley sprach, fortjagte. Von 20. Januar bis 8. Februar 1778 blieb Lenz bei Oberlin in Waldersbach, auf Besserung hoffend, die aber nicht eintrat. Diese zweieinhalb Wochen hat Georg Büchner in seiner kurzen Erzählung Lenz verarbeitet, die mit dem berühmt gewordenen Satz Den 20. ging Lenz durch’s Gebirg beginnt. Büchner war Medizinstudent und schrieb Woyzeck und Leonce und Lena. Was für ein Talent! Leider starb er schon mit 24 Jahren 1837 in Zürich.

Der Ort Waldersbach ist gepflegt, hat nicht allzu viele Häuser, ein paar Bauernhöfe, eine Kirche und das besagte Museum, in dem Oberlins Hinterlassenschaften großzügig ausgebreitet liegen. Ich bin Museen ja zugetan und besuche sie immer wieder — und immer wieder werde ich enttäuscht. Eine halbe Stunde irrte ich durch die Räume und fand Oberlin nicht. Der Pastor und Lehrer war nicht aufzufinden, es herrschte nur eine bedenkliche Leere, die die alten Objekte nur notdürftig füllten. Wie man einen Menschen der Vergangenheit zum Leben erweckt, sollten Ausstellungsmacher lernen. Gab es nicht Filme über ihn? Man hätte Ausschnitte zeigen können.

30289769746Ein Steckenpferd von Oberlin waren Schattenrisse im Profil. Er hatte bei Lavater in Zürich etwas über Physiognomie gelernt, über Schädelformen und Gesichtsbildungen. Oberlins Profilbild mit der spitzen Nase wirkt nicht gleich sympathisch. Doch er war ein großherziger Mann, der alles gab für seine Schäflein. Seine kleine Welt war ihm die ganze Welt. Er gestaltete sie um und schuf Gutes. Und viele kleine Unternehmungen tragen Früchte und können letzlich ein großes Gutes bewirken: eine bessere Welt.

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