Begegnungen

Meine Fahrradreise sollte eigentlich vier Wochen dauern. Ich erreichte Husum nach elf Tagen, versuchte im Sturm mein Zelt aufzubauen, wobei das Gestänge brach, und es regnete unaufhörlich. Also fuhr ich zurück. Man bringt schöne Erinnerungen mit: Begegnungen mit Menschen; unerfreuliche Reste vergesse man.

Gleich am ersten Tag sprach ich, der unermüdlich Kommunikative, mit einem französischen Ehepaar auf dem Campingplatz Haguenau. Er sah mit seinem Backenbart eher aus wie ein schottischer Lord, und vielleicht hatte er Vorfahren von den Inseln. Das Paar war mit dem Rad unterwegs und hatte zwei Monate in Rumänien verbracht.

Zwei Tage später hatte ich den Rhein erreicht und einen Campingplatz bei St. Goar (Oberwesel). Die Radfahrer saßen alle zusammen. Ein junges niederländisches Paar wollte nach Bologna: erst durch Hessen und Bayern, dann bei Mittenwald über die Grenze. Zwei Jungs aus Zug in der Schweiz hingegen hatte Amsterdam zum Ziel.

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Am Abend eines ziemlich vermurksten Tags (ich hatte nur mit Mühe Montabaur erreicht, also von Koblenz aus nicht viel geschafft) kam ich in ein Dorf an einem See, wo es einen Campingplatz geben sollte. Ich hatte irgendwie die Überzeugung, es würde gut werden; notfalls würde ich mein Zelt am See aufbauen. Im Ort standen ein paar Leute dicht beisammen, tranken und hörten Rockmusik. Ich ging hin. Jemand erwartete mich lächelnd. Ob ich ein Bier wolle? Alle waren sie sympathisch, und fast die einzige Frau war die Bürgermeisterin, intelligent und apart.

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Der Ort der Feier: ohne Musik, ohne Bier, ohne Menschen, ohne Magie

Da war der harte Kern des Ortes beisammen. Wir redeten über Musik, aßen Pizza, tranken ungeheuer viel Bier, tanzten und rockten, und dann war es eins, und ich durfte im Gemeindehaus übernachten. Am nächsten Tag war ich traurig. Es war eine magische Nacht gewesen, ein Geschenk: Ich hatte dazugehört und selber die Überzeugung, ich würde sie alle schon seit Jahren kennen. Magisch. Aber so etwas kann auf Reisen passieren.

Dann ein Regentag, über die Elbe, und auch das ein Tag mit Pannen … das Schild zum Campingplatz übersehen, und auf dem Marktplatz Glückstadt sah ich ein, dass ich wieder zurück müsste, 10 Kilometer, nach Kollmar. Und da waren neben mir auf dem Campingplatz Rodolfo und Elena aus Hyères in Südfrankreich. Er mit spanischen Wurzeln und Bibliothekenchef, sie Lehrerin aus Turin. Unterwegs waren sie nach Kopenhagen. Wir sprachen Italienisch, tranken und aßen zusammen. Auch dies wäre, würde man zufällig nahe beieinander wohnen, eine Freundschaft geworden. So etwas bringt das Fahrrad zustande.

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Und auf der Weiterfahrt an der Elbe, genau in St. Margrethen, saßen 6 Männer um einen Tisch und tranken Astra-Bier. Auch die konnte ich auf Anhieb gut leiden: Männer mit einer Zuneigung zu Rockmusik und zum Bier, kernige Typen. Ich fragte sie was und setzte mich dann auf ein Bier zu ihnen. Auch hier war das Einheitsgefühl: Wir gehören zusammen.

Im Campingplatz am Deich des völlig verregneten Husum traf plötzlich ein Schwede ein und baute  sein Mini-Zelt auf. Gelassen sah er aus, fast erholt, der etwa 50-jährige Mann mit kurz geschnittenem Vollbart. Er komme vom Nordkap und wolle nach Gibraltar, sagte er. Nach 6 Wochen hatte er 2400 Kilometer hinter sich. Kalt sei es gewesen in den Nächten in Norwegen, erzählte er. Nun nach Hamburg zu einem Freund und dann die Küste entlang Richtung Westen, in Frankreich hinunter und über die Pyrenäen. Mitte Oktober rechnete er mit seiner Ankunft am südlichsten Punkt.

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Das sind Männer! Aber auch tolle Frauen gibt es. Auf der Rückfahrt im Zug sprach ich mit einer pensionierten Kunsthistorikerin aus Bruchsal bei Karlsruhe, die ihr Arbeitsleben in einem großen Museum verbracht hatte. Sie müsse jedes Jahr einmal weg, sagte sie. Der Mann bleibt zu Hause beim Hund. Also war sie mit Rad zweieinhalb Monate im Norden Deutschlands, meist in Ferienwohnungen, und sie bleibe da, wo es ihr gefalle. »Wenn man zurückkommt, fühlt man sich irgendwie erhoben«, sagte sie. (Ich habe dann immer Mühe, mich wieder einzugewöhnen.)

Viele sind im Sommer mit dem Rad unterwegs, das macht Mut. Dabei erfährt man sich selbst, Umwelt und Wetter und hat schöne Begegnungen.

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