Der Hitlerputsch

Oskar Maria Graf (1894-1967) beschreibt in dem Roman Das Leben seiner Mutter das Leben in seinem Dorf am Starnberger See von 1870 bis 1930 — mit allen historischen Ereignissen, etwa dem Tod des »Märchenkönigs« Ludwigs II. 1886. Der Ersten Weltkrieg »brach aus«, mehr darüber übermorgen, und Hitler zettelte heute vor 100 Jahren einen Putsch an, der missglückte.

Zehn Jahre später wurde er zum »Führer« und führte Deutschland in den Abgrund. Am 9. November 1923 wird Oskar Maria Graf von einem Bekannten alarmiert, der sagt: »Heut nacht hat er die Macht gehabt, der Hitler!« Doch dann war sie wieder weg, die Macht. Graf erzählt uns, was im Münchner Bürgerbräukeller und danach geschah:

Hitler war in der vorhergehenden Nacht mit einem Trupp bewaffneter Verschwörer in den dichtbesetzten Versammlungsraum gedrungen, hatte — um eine Panik hervorzurufen — ein paarmal in die Luft geschossen, war auf die Rednertribüne gesprungen und hatte die überraschten staatlichen Würdenträger gezwungen, eine von ihm verfasste Proklamation zu verlesen, welche die nationale Diktatur verkündete. Schnell war Ludendorff geholt worden, der die Armeeleitung übernehmen sollte. In der Zwischenzeit hatten sich die Nazis mit der mitverschworenen Mannschaft einiger Kasernen bemächtigt. Sie sollten Post und Telegraph, den Bahnhof und die Amtsgebäude besetzen und — nachdem der Putsch gelungen war — eine kriegsähnliche Mobilmachung durchführen. In den darauffolgenden Tagen war der Marsch auf Berlin geplant, um die dortige Regierung zu stürzen und die Macht über ganz Deutschland an sich zu reißen. (…)

Die Menge marschierte, vermehrt durch bewaffnete Hitlergruppen, vom Bürgerbräu in die Stadt, doch am Odeonsplatz standen schon Infanteristen mit angelegtem Gewehr.
»Halt!« schrie ein Offizier. Hitler und Ludendorff, die an der Spitze gingen, wurden aschfahl und machten noch ein paar Schritte.
»Halt, oder —« warnte die metallische Stimme des Offiziers.
»Vorwärts marsch!« schrien etliche im Zug. Da krachten die Salven. Hitler und Ludendorff warfen sich kriegsgeübt auf den Boden, die neben ihnen her gehenden Anhänger sanken getroffen vornüber. In panischem Schrecken lief alles auseinander. (…)

Der Belagerungszustand wurde über München verhängt. Auf Straßen und Plätzen rotteten sich zuweilen noch Menschen zusammen, doch die Polizei konnte sie mühelos zerstreuen. Hitler, der sich seit seiner Flucht in der Villa der Familie Hanfstaengl im Gebirge versteckt hatte, wurde nach einer Woche verhaftet. In Berlin übergab der Reichspräsident Ebert dem Chef der Heeresleitung, General Seeckt, die ausschließliche diktatorische Gewalt über ganz Deutschland. Der löste die Hitlerpartei und ihre Nebenverbände auf. Weit schärfer aber ging er gegen die unzufriedenen sozialistischen und dazwischen wieder erstarkten kommunistischen Arbeiterorganisationen vor. (…) 

In seinem Prozess vor dem »Volksgericht« in München verteidigte Hitler, sekundiert von Ludendorff und den anderen Angeklagten, den Bräuhausputsch als »nationale Tat«. Seitenlang berichteten die Zeitungen darüber, und die scheinbar niedergerungene Nazibewegung wurde jetzt erst bekannt und populär in den Bürgerkreisen. Dunkle in- und ausländische Geldquellen der arbeiterfeindlichen Industrie erschlossen sich ihr. Ludendorffs Glanz verblasste. Hitler trat eine milde, eineinhalbjährige Festungshaft in Landsberg an und schrieb dort sein Buch »Mein Kampf«.

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Viele halfen dem Hitler. Die Zeitungen, die ja immer auf Seiten der Macht sind, waren fasziniert, und die Stahlbarone vom Niederrhein und die arroganten preußischen Adeligen machten ihre Geldbörsen auf und dachten, der Hitler würde sich gut als Instrument eignen, um die Arbeiter niederzuhalten und Deutschland groß herauszubringen. Die unheilige Allianz aus zukurzgekommenen brutalen Dummköpfen und eingebildeten Kleinfürsten, flankiert durch ein schnell begeistertes Volk, das auf die Parolen abfuhr und die NSDAP wählte, war eine explosive Mischung. Die Nazis wollten unerbittliche Gewalt, wogegen das Volk, wie Graf erkannte, nur Frieden und seine Ruhe wollte. Im Ersten Weltkrieg starben 10 Millionen Menschen, im Zweiten 50 Millionen. Wofür?

 

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