Nett sein
Wir wollen nett zu allen Menschen sein. Muss man das extra betonen? Anscheinend schon. Man liest Hinweise, die darauf schließen lassen, dass sich Kunden zuweilen rüpelhaft gegen Angestellte benehmen, als seien diese ihre Sklaven. Übergriffe gegen Polizisten und Rettungssanitäter sind auch bezeugt, und man wundert sich.
Der Verwalter unserer Wohnanlage bestätigte kürzlich, seine Mitarbeiterin bekomme von Wohneigentümern manchmal freche oder fordernde Anrufe, und seine Kollegen erlebten dasselbe. Seit Corona sei das so, meint der Verwalter. Was da psychologisch dahintersteckt, vermag ich mir nicht zu erklären; vielleicht kann’s eine Psychologin. (Man kann, wie man hier sieht, ohne Schaden auch mal die weibliche Form verwenden. Nichts spricht dagegen.)
Ich will mich nicht über Gebühr loben, doch sehe ich, wo immer ich bin, die Arbeitskräfte im Hintergrund. Ich scherze mit der Supermarkt-Kassiererin (wer weiß, wie lange wir sie noch haben, bald scannen wir alles selber und gehen staunend durch eine Elektronik-Welt), sehe den Mann, der im Flughafen den Boden wischt und die Frau, die die Toiletten betreut. Ich nehme sie wahr; ich beziehe sie mit ein.
Ein junger Mann, den ich nach ein paar Jahren wiedertraf, teilte mir Eindrücke aus Kanada mit, wo er länger in einer Großstadt gelebt hatte. Er sagte: »Alle begrüßen dich und fragen ›hey, wie geht’s dir?‹ Alle sind freundlich in den Geschäften und gut drauf. Hier in Deutschland, da schauen sie dich oft nicht mal an.«
Theodor W. Adorno, der deutsche Philosoph (1903-1969), hat schon vor 60 Jahren eindringlich auf die Gefahr hingewiesen, dass wir Menschen zu Objekten degradieren. Er führte es auf die Konsumwelt zurück, und erst 20 Jahre zuvor waren die Nazi-Lager befreit worden. Wir in unseren Ländern heute haben Rechte und große Ansprüche, und die Wesen im Hintergrund sorgen dafür, dass es uns gut geht. Es sind aber Menschen, denen es gut tut, wenn man ihnen ein Lächeln schenkt. Für eine Sekunde ist dann alles in Ordnung, wir verstehen uns, und ein paar Sekunden wirkt das noch nach.
Ebenfalls in den 1960-er Jahren wurde von jemandem bemerkt: »Wir wollten Arbeitskräfte, und es kamen Menschen.« Das waren die sogenannten Gastarbeiter. Heute sind es die Einwanderer aus anderen Kontinenten, die die Arbeit verrichten, die hier keiner mehr tun will. Wir brauchen sie. Und wenn wir sie auch nicht bräuchten, sollten wir sie wie unseresgleichen behandeln. Sie kommen aus anderen Kulturen, und jeder von ihnen sucht sein persönliches Glück. Jeder Mensch ist ein Kosmos, keiner ist eine Insel.