Siegfried und Kriemhild

In unserem Pflegeheim am Rande des Südschwarzwaldes ist vor zweieinhalb Wochen Siegfried Demmin gestorben, 94 Jahre alt. Hat uns alle geschockt, weil er, der groß gewachsene Mann, ein Urgestein war, ein guter Typ, mit Humor und Lust zum Plaudern, gewandt in Plattdeutsch und irgendwie gelassen. Vor zwei Jahren habe ich einen Artikel geschrieben, weil seine Frau exakt Kriemhild hieß. So was gibt’s also, 700 Jahre nach der Nibelungensage.

Ich war an dem Artikel dran, der für die Zeitschrift des Pflegeheim-Betreibers entstehen sollte und dann auch Siegfried und Kriemhild hieß … da kam ein neuer Bewohner ins Heim, ein kleiner Mann, der mit Vornamen Hagen hieß. Das haute mich um. War die Kombination Siegfried und Kriemhild schon etwas Bsonderes, so ergänzte Hagen (ein absolut seltener Vorname) das Paar auf verblüffende Weise, denn in der Legende ermordete Hagen den Drachentöter Siegfried. (Die beiden verstanden sich aber prächtig und unterhielten sich oft über Flugzeuge.)

Siegfried Demmin stammte aus dem gleichnamigen Ort in Vorpommern, hatte eine schwere Kindheit, lernte Bäcker, arbeitet bei der Wismut AG, boxte in der Freizeit und schloss sich der Fremdenlegion an, für die er nach Algerien und Vietnam geschickt wurde. Damals, Anfang der 1950-er Jahre, waren mehr als 80 Prozent der Fredenlegionäre Deutsche. 1955 schied er krankheitsbedingt aus und lernte in Heitersheim bei einem Fest die junge Kriemhild kennen und heiratete sie, doch über ihrer beider Namen hatte er sich keine Gedanken gemacht. Es war einfach ein Zufall.

Kriemhild und Siegfried

Kriemhild und Siegfried

In diesem Ort arbeitete er viele Jahre, bevor das Paar für 13 Jahre in die Vogesen zog und wieder zurückkehrte, um wiederum viele Jahre danach gemeinsam ins Pflegeheim umzusiedeln. Siegfried sang gern Seemannslieder und war bei allen gern gesehen, weil er sich charmant und unterhaltend geben konnte. Na ja, und jetzt starb er plötzlich. Jemand mag 94 Jahre alt sein, doch er ist da, leibhaftig anwesend, und wenn er plötzlich nicht mehr da ist, fehlt er. Und wie!

nibelungenWADas Nibelungenlied geht vermutlich auf Geschichten und Legenden aus der Merowinger Zeit zurück: man meint, auf die Jahre zwischen 450 und 600. Aufgeschrieben wurde das Nibeungenlied erst Anfang des 13. Jahrhunderts auf Mittelhochdeutsch. Wir erinnern uns: Brunhilde will nur einen Mann heiraten, der sie besiegen kann. König Gunther wirbt um sie, und der bärenstarke Siegfried (unsichtbar unter seiner Tarnkappe) hilft ihm, die Frau zu erobern. Brunhilde wirft Kriemhild eines Tages vor, ihr Gatte sei ja nicht edlen Geblüts, worauf diese wütend aufdeckt, dass Gunther ihm den Sieg verdankt.

Brunhilde ist gekränkt und stiftet Hagen von Tronje an, Siegfried zu töten (den sie aber liebte). Ich glaube, Kriemhild selbst zeigte Hagen die Stelle zwischen den Schulterblättern, die bei Siegfried ungeschützt war; dort drang Hagens Schwert ein. Kriemhild trauert jahrelang um Siegfried, und ihr unversöhnlicher Hass führt schließlich zu einem fürchterlichen Gemetzel.

So wirken, denken wir uns, die alten Geschichten weiter fort, und ich denke an Lore Winkler, die ein paar Monate vorher mit fast 98 Jahren starb. Ihr habe ich immer die Gedichte um die Loreley vorgelesen, auch eine sehr deutsche Sage. Auch sie (die Lore) ist nicht vergessen.

 

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