November in der Stadt überm Meere
Über den Monat November schreiben Poeten selten. Es ist vielleicht der unbeliebteste Monat — und doch habe ich ein paar Beispiele gefunden. Im November steckt ja nove drin, neun, und der neunte Monat ist er, weil bei den Römern das Jahr mit dem März begann. Oktober (etwa: oktogonal, achteckig) ist der achte, September (sette, septuagesima) der siebte. Also Impressionen vom neunten Monat.
Ernst Meister aus Hagen-Haspe lebte von 1911 bis 1979. In seinem langen Gedicht Jenseits von Jenseits finden sich die schönen Zeilen:
Nachtzeit, Nacht-
raum, darin
Seidenes schimmert,
von ungefähr blechern
sagen die Glocken
die Stunde, es ist
Sommer November
in der Stadt überm Meere,
ein Hahn
kräht um zwei.
Peter Huchel (1903-1982) stammte aus dem Märkischen Land, redigierte das Heft Sinn und Form und verbrachte die letzten Lebensjahre, von den DDR-Behörden ausgebürgert, in Staufen im Breisgau. Die Melancholie ist sein Element.
Die Reise
Eines Abends
im späten November flacher Seen
trat aus dem Regengeräusch ein Mann.
Wir nahmen den Pfad durchs hohe Rohr.
Es wehte kühl an meine Schläfen,
als ging ich
zwischen den Mähnen zweier Pferde.
Sie trugen
in Säcken aus Nebel
mein Gepäck,
das leichter war als der Nachtwind
über den Schilf. (…)
Vor Nimes 1452
1
Oktober, November,
die Lungen des Herbstes
atmen die Nebel aus.
Im düsteren Licht
das flüchtende Grau der Rehe.
Steck deine Klinge ein,
ruchloser Gast,
setz dich ans Feuer,
misch deine Karten.
Kreuz-As, gezinkt
mit einer Spur
verharschten Bluts.
In düsteren Licht
das flüchtende Grau der Rehe.
Bei Rolf Dieter Brinkmann (1940-1975), der die neuere deutsche Lyrik revolutionierte (ohne es zu wissen, einfach durch die Veröffentlichung seines Lyrikbandes Westwärts 1 & 2), klingt das anders, wie im zweiten Teil seines Gedichts Noch zweimal auf dem Land sehen.
Das November
Unterhosenwetter
ist wieder da.
Die Blätter fielen
immer wieder von den
Bäumen ab.
Der Schnee kam
viel zu früh über
den leeren Weg.
Auf einer Couch
wälzt sich die Frau.
Sie heißt die Bäuerin,
und reißt die
lodengrünen
Bohnen auf.
Und trotz der Kälte ist
die große Wolke nicht verschwunden,
in der geschrieben steht, »auf
dem Land«. Sie hängt
das ganze Jahr
darüber.