Halloween: die verlorene Bedeutung
Über »Halloween als Fest der verlorenen Bedeutungen« spricht heute Abend um 20 Uhr Stephan A. Hoeller, Bischof der Ecclesia Gnostica, in der Besant Lodge in Los Angeles, 2450 N. Beachwood Drive. Das ist unterhalb der berühmten HOLLYWOOD-Schrift. Auf der Seite der Gnostic Society wird geraten, früh zu kommen, um einen Parkplatz zu finden, entweder ums Eck, besser noch weiter nördlich Richtung Solar Grid und JAG Design. Jetzt sind wir allerdings zu spät dran …
Der jährlichen kurzen Ansprache des Bischofs folgt die Halloween-Party. »Kostüme und Dekoration sind höchst erwünscht, um zum Spaß an der Veranstaltung beizutragen«, lesen wir. Das kommt zwar vier Tage zu früh — Halloween wird immer am 31. Oktober gefeiert, am Vorabend von Allerheiligen —, aber Stephan Hoeller hält eben immer Freitagabend eine Rede, seit fast 20 Jahren, und das ist dieses Jahr der 27. Oktober. Ich kam nur darauf, weil ich viele Texte auf dieser Seite lese, denn ich bin ein begeisterter Gnostiker.
Erst wusste ich nicht, wie ich weitermachen würde, doch die Eingabe des Vortragstitels förderte ein Buch zutage, das 33 Seiten lang ist und online gelesen werden kann. Der Autor ist Alvin Boyd Kuhn (1880-1963), ein Theosoph, der 150 Bücher schrieb, darunter eben Halloween: a Festival of Lost Meanings, erschienen 1922. Das wird manipogo vorstellen. — Kuhn war zunächst Lehrer, holte sich einen akademischen Grad, widmete sich erst als 50-Jähriger dem Schreiben, und einen Verlag gründete er auch. Da er Theosoph war (sollte man mal näher vorstellen, die Theosophie), wurden seine Bücher weitgehend ignoriert. Zu Unrecht.
Was er vor 100 Jahren schrieb, gilt noch. Aus den USA ist das Fest mit seinen ausgelassenen, frivolen und leicht destruktiven Zügen nach Europa gekommen und etablierte sich dort erst vor einigen Jahren. Es herrsche totale Unwissenheit über seine Bedeutung, ärgerte sich Kuhn. Wir folgten den Formen der alten Feste, die Bedeutung jedoch sei verlorengegangen. Warum läuft man denn verkleidet herum?
Der Tierkreis sollte laut Kuhn die Evolution des Menschen belegen. Vier Kerntage hebt er hervor: den Frühjahrsbeginn (21. März), die Tag-und-Nacht-Gleiche (21. Juni), das herbstliche Äquinoktium (21. September) und die längste Nacht mit dem kürzesten Tag (21. Dezember). Am betreffenden Juni-Tag herrscht der Geist, und die Seele ist im Werden. Am 21. September, also in der Herbst-Tag-und-Nacht-Gleiche, sei »die feurige Essenz aus dem schöpferischen Geist der Höchsten Gottheit in den Menschen eingedrungen« und habe sich mit der Materie verbündet, um sich ausdrücken zu können. (Zwei Tage später las ich Antonio Tabucchi, Requiem: Ein hinkender Losverkäufer sagt ihm, wir alle hätten eine Seele, über die sie dann reden, und er sagt: »Ich bin am Tag des Herbstäquinioktiums geboren, wenn der Mond verrückt spielt und der Ozean anschwillt.«) Es ist die erste Phase des Spürens und Empfindens (sensation).
Am 21. Dezember geht sie kurz (in einer Nahtod-Erfahrung, denn es ist die dunkle, traurige Zeit) in den Untergrund und wird mit neuen Emotionen wiederbelebt, und am 21. März beginnt ein frischer Zyklus unter dem Erstarken des Intellekts und des Willens. (Der Tierkreis übrigens beginnt da mit dem stürmischen Widder, dem der Narr, die Null, im Tarot entspricht, und endet mit dem altruistischen, hoch entwickelten Fisch.)
40 Tage nach dem 21. September finde Halloween statt, am 30. Oktober, und 40 Tage war stets der Zeitraum, der für das Keimen von Getreide notwendig war. 40 Tage nach Weihnachten wird im Christentum auch Maria Lichtmess mit vielen Kerzen gefeiert, es ist die Reinigung der Jungfrau; die Weihnachtszeit endet, Christus beginnt sein Wirken.
Die katholische Kirche sieht Allerheiligen auch als ein »Erntefest«. »Die Frucht, die aus dem Sterben des Weizenkorns wächst und reift, bewundern wir, sind wir. … Allerheiligen richtet unseren Blick auf die Vollendung, auf das Endziel, für das Gott uns beschaffen und bestimmt hat.« (Schott-Messbuch: Die neuen Lesungen an den Festen der Heiligen, Beuron 1974)
An Halloween werde also das Animalische gefeiert. Die Seele war in einen animalischen Körper eingetreten, lebte aber noch verdunkelt. Am Tag nach Halloween, am 31. Oktober, werden die geheiligten Seelen verehrt und zeigen sich stolz. Ja, erst muss der Körper gefestigt werden, dann erst kann der Mensch spirituell werden. Halloween sei eigentlich eine »Ritualisierung der Inkarnation«. Carne heißt ja Fleisch, und da kommt uns der Karneval in den Sinn, der Lustbarkeiten und die Feier des Fleischlichen bietet, bis die 40-tägige Fastenezeit beginnt.
Warum die Masken? Maske heißt auf Lateinisch persona, genauer per suonum, durch den Klang. Die Rolle spricht sich durch die Maske hindurch aus, Gott spricht durch uns, dabei zunächst durch das Tier, das wir einst waren. Die Konflikte beginnen erst später: Wenn Bewusstsein/Intellekt und das Spirituelle dem Animalischen Zügel anlegen wollen. Dieser Konflikt endet nie.
Halloween ist auch das Fest der Hexen. Das griechische hex heißt sechs. In sechs Tagen vollendete der Herr die Schöpfung. Es gab nun zwei Geschlechter, die bereit waren, sich zu vereinigen: Vielleicht ist da die Verbindung von sechs zum Sex. Sechs Flächen besitzt der Kubus, der ein Symbol der Materie ist. Hekate, die griechische Göttin der Magie und der Tötenbeschwörung, gehört zur Hexe. 666 ist in der biblischen Apokalyose die Zahl Satans. Zur Hexe gehört natürlich der Mond, am besten der Vollmond, und die Nacht auch.
Damit endet Boyd Kuhns beeindruckender Galopp durch die Mythologien der Welt. Denken wir daran, wenn in 4 Tagen die Rotten durch die Straßen ziehen und rufen: »Süßes, sonst gibt’s Saures!«