Rudi und der Gral

Was hat man nicht alles geschrieben im Leben! Es war einem danach, man hat gereimt und drauflosschwadroniert, und vieles war unreif, und oft dachte ich an den Spruch über den Samurai, der mit 50 Jahren endlich erwachsen sein soll. Heute ist mein Namenstag, also sende ich euch ein Gedicht über Rudi, der eine Radtour unternimmt, geschrieben 2015. In jenem Jahr habe ich gereimt wie der Teufel … 

Der Anfang ist nicht so berühmt, aber es spielt im Winter, im Januar. Musik dazu: As We Go von Luminar. Zauberhaft!   

Dann kommen ein paar Tage, wo es taut.
Acht Grad, der Schnee verwandelt sich zu Brei,
zu Mus, zu Wasser und verschwindet ganz. Der Himmel blaut.
Es ist ein blasses Blau, verschleiert leicht von Wolken, und wie Blei,
blauschwarz, erhebt sich schon vor fünf der Abend hinter Rebspalieren.
Im Land, wo die Zitronen blühn, macht man im Januar auch Touren
Und meint, es sei der Frühling, und nur die Tiere und die Huren
Zeigen sich nicht mehr häufig auf den Straßen. Hier kann man gut spazieren
Über den Castellberg, nach unten schaut man hin zu den Vogesen.
Im Dörflein schimmern Lichter, zwei Gasthöfe sind hier,
doch rauchen darf man nicht, ein Wandrer ist ein seltnes Tier,
man fühlt sich unwohl; bleibt wohl nur das Lesen.

ballre

 

Dann kommt ein Montag. Rudi plant heut eine Runde.
Er rüstet sich mit Helm und allem, was man braucht, für dreißig Kilometer,
gibt Öl auf Kette, Luft den Reifen, schleppt hoch das Rad, schon steht er
vor seinem Haus, rollt Richtung Heitersheim zur Mittagsstunde.

Aus dem Dorf hinaus drei Kilometer neben Feldern,
zurück der Blick: da ragt der Kirchturm auf vor sachten Höhenzügen,
die ersten Ausläufer des Schwarzwalds, und sich dahinter fügen
Berge höheren Kalibers bis zum Belchen, Almwiesen und Täler mit viel Wäldern.
Der nächste Ort heißt Heitersheim, da saß vor schon neunhundert Jahren
Der Großprior des Johanniterordens in dem Schloß, noch heut instand,
hinter der Badruine der Römer, die vor zweitausend Jahr’n hier waren
Vom Castellberg aus blickt‘ einst ein Legionär als Wache übers Land.

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Rudi durchquert die Ansiedlung, er unterquert die Überführung der Bahn
Und sieht das Müllverbrennungsmonster Trea, Rauchsäule nach Westen,
der Wind kommt oft von Frankreich her, da bläst es sich am besten.
Er fährt drauf zu, vorbei, die Anlage gleicht einem dicken Zahn
Mit dem Kamin, hier wurde schon eine Million Tonnen Müll verbrannt,
und Rudi kann nicht anders, gedenkt der deutschen Dichterin, die, gebannt
vom Schicksal ihres Volkes und dem fürchterlichsten Wahn
der Menschheit schrieb O die Schornsteine / Auf den sinnreich
erdachten Wohnungen des Todes / Als Israels Leib zog aufgelöst in Rauch /
Durch die Luft – Die Opfer kamen in die Lager mit der Eisenbahn.

Vorbei. Der Wind von vorn, ein Waldstück hält ihn ab, es geht nach Norden
Und lassen wir ihn da und fliegen ein paar hundert Meter weiter
Wo grad ein Auto kommt von der A5 und sich dem Kreisel nähert; heiter
sagt Beat, der Fahrer, zu Beifahrer Jacques: Schön ist diese Fahrt geworden.
Schau an, wie toll das, alles flach und dort der Schwarzwald sanft am Horizont.
Sie biegen mit dem alten weißen Volvo in den Kreisel ein, zweihundertsiebzig Grad
Beträgt die Runde, bevor sie Richtung Hartheim diesen Kreisel lassen und ein Radler hat
Sich auf dem Radweg neben sie gesetzt, man sieht ihn gut, denn alles ist besonnt.

Jacques, unser Beifahrer, kurbelt spontan die Scheibe runter und ruft Den kenn ich doch!
Sie fahren parallel, er schreit: He Ritter, Held, bleibt stehn! und Rudi noch
Begreift es nicht, dann schaut er endlich hin und stutzt, und beide halten an.
Und Jacques steigt aus, und Rudi runter von dem Ross, er ruft Oh Mann,
Jacques Knechtle, ach, ich fass es nicht, in Freiburg bei der Zeitung waren wir
Vor dreißig Jahren, was machst du denn hier?
So sinken sich die beiden in die Arme. Beat ist gerührt
Und steigt auch aus. Zwei alte Freunde, und der Zufall hat zusammen sie geführt.

Gut siehst du aus, mein Rudi, lobt der Schweizer ihn.
Ich dachte, du wärst noch in Rom. Und jetzt… Er lacht.
Rudi schaut lang. Denk dir, ich war lange in der Schweiz. Das hättest du wohl nicht gedacht.
Doch jetzt — da hinten. Er deutet mit der Hand. Und du – in Wien
beim Standard, dachte ich. – Schnell rausgeflogen, dann
die Wirtschaft, Geld, PR, und nun schon lang in dem Konzern,
der hundert Supermärkte hat, und manchmal schließt man welche gern,
und deshalb, leider, bin ich hier, das gehen wir ab morgen an.

Ein Abwickler! staunt Rudi. Ach, so ist das Leben. Wo bleibt ihr über Nacht?
In Buggingen, das Hotel nah an der Halde, mischt Beat sich ein.
Das kenn ich, sehr romantisch, das ist fein.
Sagt Rudi, und Jacques fragt: Kommst du zum Essen? So um acht?
Rudi stimmt zu. Sie trennen sich. Der Volvo röhrt
Über die Ebene, der Radler tritt in die Pedale.
Der Himmel blau. Schon viele Male
Hat er des guten Jacques gedacht. Den stört
Bei Hartheim ein Geräusch, das er nicht deuten kann, es scheint ganz
oben angesiedelt; ein Kleinflugzeug kommt von links heran
fliegt über sie hinweg und setzt zur Landung an.
Setzt auf, entfernt sich und verschwindet / in einer Wand aus Sonnenglanz.

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