Landschaftsmaler

Im Literaturmuseum zu Wien stand an einer Wand ein Satz, der in mir Kindheitserinnerungen wachrief. Sinngemäß hieß es da, Cooper mit seinen Schilderungen unberührter Landschaften habe auf Adalbert Stifter eingewirkt, dessen Naturschilderungen süchtig machten … so ungefähr. Ich glaube, den Lederstrumpf von James Fenimore Cooper habe ich bekommen, als ich 12 oder 13 war, und erst dann die vielen Karl-May-Bände.

2024-02-19-0001Was lesen junge Leute heute? Cooper und Karl May bestimmt nicht. Aber wir »Buam« sind in den 1960-er Jahren mit den Cowboys und den Indianern aufgewachsen. Zum Fasching ging ich mit Cowboyhut und Pistole, doch eine Lehrerin erklärte, der Cowboy sei nur ein Kuhhirte, und so einer wollte ich nicht sein, lieber ein Abenteurer wie Old Shatterhand oder ein Trapper wie Nathaniel »Natty« Bumppo, der »Wildtöter« in der ersten Erzählung von Coopers Lederstrumpf-Sammlung, der sich mit dem Häuptling Chingachgook und dessen Sohn Unkas anfreundet. Es folgten »Der letzte Mohikaner«, »Der Pfadfinder« (von Goethe 1826 gelesen, der den Autor lobte), »Die Ansiedler« und »Die Prärie«, auf dessen letzten Seiten (in meiner Ausgabe die Seiten 622 und 623) der alt gewordene Trapper seinen Geist aushaucht. (Links oben der Umschlag meines 50 Jahre alten Bandes; unten links die Rückseite)

Das große Werk, von 1824 bis 1827 geschrieben, beginnt so:

Die Ereignisse dieser Geschichte fallen in den Sommer des Jahres 1740, als die bewohnten Teile der Kolonie von Neuyork sich auf die vier atlantischen Graftschaften, auf einen kleinen Landstrich an jeder Seite des Hudson, von dessen Mündung …

Ein eher unbeholfener Beginn, was den jungen Leser wenig stört, er liest drüber, und dann erklingen die Stimmen von zwei Männern: Hurry Harry und der Wildtöter. Sie schlagen sich durch die Wildnis.

2024-02-19-0002Vor ihnen lag ein großer See still und durchsichtig zwischen den Hügeln und Wäldern. Seine Länge betrug ungefähr elf Kilometer. Die Breite war verschieden. Das Ufer war unregelmäßig, mit Buchten und vielen vorspringenden niederen Landzungen. Der Charakter der Gegend war im ganzen gebirgig, die Berge traten auf neun Zehntel des Ufers dicht an das Wasser heran. Über dem See lag eine feierliche Stille. Auf allen Seiten war nichts als Wasser, Himmel und Wald zu sehen. Die Hand des Menschen hatte noch nie diese Gegend berührt und entstellt.

James Fenimore Cooper (1789-1851) war wie Joseph Conrad Seemann, bevor er zu schreiben begann. Vor 200 Jahren waren die Vereinigten Staaten erst 50 Jahre alt und wollten sich auch kulturell darstellen. Cooper wurde bald zum meistgelesenen amerikanischen Schriftsteller. Er ließ den Indianern Gerechtigkeit widerfahren und hielt auf Moral. Doch ein großer Stilist war er nicht. Mark Twain (1835-1920), der ihn an Ruhm bald übertreffen sollte, kritisierte scharf alles, was Cooper schrieb. In der obigen Passage werden die Schwächen offenkundig, doch um sie geht es nicht. Es wird in der Literatur mehr übertragen als das, was dasteht (hier: Hemingways Eisberg-Theorie), und Cooper sprach von einer unberührten Landschaft, einer Welt, wie sie vor dem Zugriff des Menschen war.

Der Österreicher Adalbert Stifter (1805-1868) begeisterte durch seine Naturbeschreibungen. Berühmt wurden seine Romane Witiko und Nachsommer, und ich lese gern in dem Erzählband Bunte Steine herum, in dem sich Bergkristall und Kalkstein und andere finden. Die Erzählung Katzensilber beginnt sehr elegisch:

003In einem abgelegenen aber sehr schönen Teile unsers Vaterlandes steht ein stattlicher Hof. Er steht auf einem kleinen Hügel, und ist auf einer Seite von seinen Feldern und seinen Wiesen und auf der andern von seinem kleinen Walde umgeben. Man sollte eigentlich auch einen Garten hieher rechnen; aber es würde eine unrechte Benennung sein; denn Gärten der Art, wie sie in allen Ländern im Brauche sind, gibt es in jenem hochgelegenen mit Hügeln und Waldesspitzen besetzten Landesteile nicht, weil die Stürme des Winters und die Fröste des Frühlings und des Herbstes allen jenen Gewächsen übel mit spielen … 

Auf der dritten Seite dann werden die Menschen erwähnt, die den stattlichen Hof bewohnen, und die Geschichte beginnt. 1853 hat Stifter diese Erzählung geschrieben, und damals musste man nicht gleich zur Sache kommen, weil die Menschen noch Zeit hatten. Die gemächliche Schilderung gab den Ton vor und zog die Leser allmählich in die Geschichte hinein.

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Dazu hatte ich eine Fortsetzung schreiben wollen — mit Beispielen dafür, dass eine Naturschilderung dem Seelenleben des Helden/der Heldin entspricht. Aber dafür müssste man Beispiele sammeln. Dann hätte ich weiter geschrieben, dass auch bei uns die innere Stimmung die Wahrnehmung beeinflusst … und dass das in der Anderen Welt viel extremer verläuft. Du bekommst dort die Welt vorgesetzt, die du in dir trägst. Deine Schwingungen bauen deine Welt. Das muss einen nicht bekümmern; jeder ist mal schlecht drauf. Es zählt der allgemeine Zugang zur Welt. Wer pessimistisch und negativ ist, wird dies möglicherweise in seiner Umwelt vorfinden, denn noch stärker als hier bist du die Welt, es gibt kein Draußen. Freilich kann man immer noch lernen und sich verbessern, aber es ist drüben schwer. Unbewusste Strömungen sollten besser jetzt aufgearbeitet, Trauer sollte verstanden werden, denn das, was du bist, bist du dort drüben, und total.

 

 

 

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