Die große Presse-Agentur

Gestern hatte ich erwähnt, dass Erlendur Haraldsson und ich beide einmal für die Deutsche Presse-Agentur (dpa) tätig waren. Das kann man etwas vertiefen. Es ist zwar schon 33 Jahre her, dass ich in Hamburg meinen Abschied nahm, doch vergessen habe ich diesen Zeitabschnitt nicht, in dem ich im Bann von Weltnachrichten stand.

Heute leidet die dpa natürlich unter dem Rückgang der verkauften Zeitungs-Ausgaben und unter dem, was man Fake news nennt. Damit hat die superseriöse Agentur natürlich nichts zu tun, doch ein gewisses Misstrauen hat sich überall eingenistet.

2024-01-13-0001Die dpa hat ein ausgedehntes nationales Netz, ist aber auf der ganzen Welt mit Korrespondenten vertreten. Diese Leute sind teuer, darum wirken sie nur an wichtigen Plätzen. In Afrika gab es damals einen Korrespondenten in Kairo, einen in Nairobi und einen in Johannesburg. Drei Leute in Washington, einen in Rio de Janeiro und ein paar freie Mitarbeiter. Drei in Moskau, einen in Peking, einen in Tokio, einen in Neu-Delhi, die immer ihre Zuträger haben und sich anschauen, was die nationalen Agenturen veröffentlichen; das wird dann übersetzt und in die Zentrale geschickt. Wenn eine Eilmeldung eintraf, war Alarm. Das konnte ein Anschlag sein, eine Kriegserklärung oder eine sensationelle Aussage eines Staatsmanns. (Rechts: Ich als Jungredakteur im Großraum, telefonierend. Es ist aus einem Jubiläumsband 40 Jahre dpa und war 1989.)

Bei der dpa war schon damals, vor dem Internet-Zeitalter, nie Redaktionsschluss. Nach 19 Uhr wurde es etwas ruhiger, dann aber trafen Meldungen aus den Vereinigten Staaten oder Asien ein. Baden-Württemberg stellt sich da schon auf einen stillen Abend ein: Zentrale in Stuttgart, drei Leute in Karlsruhe, einer in Tübingen, einer in Mannheim, einer in Freiburg. Das Material, von der jeweiligen Zentrale redigiert (also geprüft), geht digital an die Zeitungen, die die dpa abonniert haben.

All the news that’s fit to print — so schrieb immer die New York Times. Was sich eignet, gedruckt zu werden, entscheiden dann die Redakteure bei den Zeitungen, nachdem die Redakteure in der Zentrale entschieden haben, was die bekommen sollen. Selbstverständlich wird die Agentur nichts Revolutionäres weitergeben,. Meist sind es Termine mit Politikern, deren Statements aufgezeichnet werden oder Details aus dem Polizeibericht.

DSCN5069Nun kann und wird sich die Agentur auf die Schulter klopfen und sagen: ›Wir berichten ja nur Objektives; wir melden das, was ist.‹ Nur gibt es nichts Objektives. Der Korrespondent in Nairobi verfolgt die Nachrichten der kenianischen Agentur und meldet Regierungswechsel, Verlautbarungen oder kriegerische Auseinandersetzungen. Das ist dann die Stimme der Regierung Kenias; man hat keine Zeit, nachzurecherchieren, und eine Reise nach Uganda oder in den Tschad kann man sich abschminken. Das kostet Zeit und Energie, und dann fehlt man im Büro.

Ich weiß nicht, wie es während Covid/Corona war, kann es mir aber vorstellen. Da kommt die Meldung einer Gruppe, die gegen die Impfung ist, untermauert mit Studien. Der Dienstleiter stutzt und schickt das Material an die Wissenschaftsredaktion, die dann die Verantwortung übernehmen müsste. Vielleicht haben die dort mehr Zeit, die Studie zu begreifen? Es soll ja alles schnell gehen, und im Zweifelsfall fallen alternative Meinungen unter den Tisch, außer Regierungsvertreter greifen sie auf. Die dpa will ja keine Politik machen; aber indem man sich der Regierungsmeinung fügt, macht man natürlich auch Politik.

Ein Spruch lautete: Be first, but first be right.  Sei der erste mit deiner Meldung, aber kümmere dich zuvor darum, dass sie stimmt. Die Agenturen haben sich in Jahrzehnten ein Image von Unfehlbarkeit geschaffen. Das alles kommt ex cathedra — also wie von einem Lehrstuhl aus verkündet. Als käme es direkt von Papst. Ist immer noch so. Doch allmählich wurde das System unterwandert. Die Blogs waren radikal subjektiv, und in den sozialen Medien werden wilde Gerüchte verbreitet, zuweilen getarnt als seriöse Medlungen. Schwierig, sich da zu behaupten.

Gesendet wird, was sich zum Drucken eignet (fit to print). Für den Mann (oder die Frau) in Nairobi ist es schwer, eine Geschichte über Armut in Uganda durchzukriegen. Haben wir schon oft gehabt; wen interessiert das. Damals liefen Features immer mitten in der Nacht, zur freien Verfügung: vier Stück. Sonst: Meldungen. Was so passiert. Das sind meistens Unglücke oder Aussagen von Politikern, Konferenzen oder künftige Konferenzen. Der Redakteur oder die Redakteurin ist Gatekeeper. Er macht die Schleuse auf oder lässt sie zu. Und was nicht da ist, mit dem kann man nichts anfangen.

Die Journalisten in den Zeitungen sollten eigentlich auch selber recherchieren, doch das ist anstrengend. Steht ja bei der Agentur, und auf die kann man sich verlassen. Und so bekommen wir die vermeintlich wahre Welt, das, »was ist«.

 

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