Irgendwie desinteressiert

Heute ist mein Geburtstag. 1957 kam ich in München zur Welt, das muss man nicht verschweigen. Ich bin jetzt schon fast zehn Jar älter als mein Vater bei seinem Tod. Die dunkle Phase ist vorüber, ich bin wieder produktiv und habe viele Pläne. Am besten ist es, sich selbst zu vergessen, doch die immer wieder auftretenden Phasen von Reue über meine Vergangenheit gehören wohl zu mir. 

Man will sich dann rechtfertigen, und es gelingt, wenn man Zitate von Geistesverwandten (oder Seelenverwandten) findet. Meine Misere ist nicht nur meine ganz persönliche, sondern machte sich auch in anderen breit, die sich Künstler nannten. In Lope de Vega habe ich einen Seelenverwandten gefunden, und kürzlich gefiel mir etwas, das der Komponist und Bandoneon-Spieler Astor Piazzolla sagte.

Astor_PiazzollaEr war 1921 geboren und wurde 69 Jahre alt … da blieben mir noch 2 Jahre, und diesen Gedanken wird man nicht richtig los. Es könnten einem noch 10 oder 15 Jahre bleiben; es könnte aber auch schon nächstes Jahr vorbei sein, das wissen wir alle nicht. Doch das Radfahren macht Spaß, Bier und Pfeife schmecken und das Essen auch, es wird schon noch eine Weile gutgehn.

Da fand ich in einem Bücherregal in Bad Krozingen das Buch A manera di memorias von Natalio Gorin, der Piazzolla befragte. (Ist übrigens 90 Euro wert, das Buch.) In einem Kapitel spricht der Tango-Künstler über die Liebe und seine Beziehungen. Erst heiratete er Dedé Wolff, dann war er mit Amelita Baltar zusammen und ehelichte schließlich 15 Jahre vor seinem Tod Laura Escalada. Piazzolla ist sehr selbstkritisch:

Ich bin ein Egoist, eine Person, die nur und ausschließlich an sich denkt, an seine Musik. Niemand soll an meine Dinge rühren, weil sie eine Art von Schatz sind, in die keine Hand sich mengen sollte, mein ganzes Wesen lebt dort, und manchmal fällt es mir schwer, mich der Wet der anderen zuzuwenden, weil mich meine Welt total absorbiert. Ich bin ein isolierter Typ, und wenn ich ein wenig übertreibe, kann ich es nicht anders schildern als dass mich weder die Politik noch die Wirtschaft interessieren und die wahren Triebkräfte der gegenwärtigen Gesellschaften auch nicht. 

Er sagte noch:

Es un menefreguismo mio. Mi nefrega la politica. En el fondo lo unico que me interesa es mi mundo …

Witzig, dass es den menefreguismo im Spanischen gibt. Genauso heißt es auch im Italienischen: menefregismo. Das kommt von dem Ausdruck io me ne frego: Ist mir scheißegal. (Sein Vater kam aus Trani, seine Mutter aus der Nähe von Massa Carrara. In Buenos Aires gibt es ein Stadtviertel, das Palermo heißt, weil so viele argentinische Familien ursprünglich aus Italien stammen.)

Nur seine Welt interessiert ihn, seine Musik. Doch dann räumt er ein, seit er Laura liebe, würde die Waagschale, auf der sie sitze, schwerer wiegen als die andere mit seiner Welt und der Musik drauf.

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Ein Bild aus meinem Beitrag 2015 über das Staufener Tango-Museum: mit dem 2020 gestorbenen, vielbetrauerten Axel Steinhart. Nächstes Bild: Piazzolla mit Axels Vater Konrad Steinhart, dem Begründer der Sammlung:

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Hören wir uns Piazzolla in einer Live-Aufnahme an, mit dem berühmten Libertango am 18. Mai 1977.

Dann gibt es noch ein Konzert vom 29. Juni 1989 im Royal Carré Theater de Amsterdam: Piazzolla mit seinem Sextett gemeinsam mit Osvaldo Pugliese und seinem Orquesta tipica. (Da haben wir’s wieder: Mein Freund Romano heißt mit Nachnamen Puglisi, und ich glaube, seine Etern lebten in Argentinien.) Es muss eines der letzten großen Konzerte Piazzollas gewesen sein, denn im August 1990 erlitt er einen Schlaganfall und starb 2 Jahre später.

 

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