Die Einsamkeiten

Ich dachte mir: Vergiss Weihnachten, wenden wir uns einfach einem langen Gedicht von Lope de Vega (1562-1635) zu! Und ich schaue nach und stelle fest, dass exakt am 26. Dezember vor drei Jahren zwei Weihnachtsgedichte von ihm auf manipogo vorgestellt wurden! (Wiegenlied fürs Christkind). Heute kümmern wir uns um In meine Einsamkeiten gehe ich.

So wie es anfängt, spricht es von mir, das Gedicht.

SDC10641In meine Einsamkeiten geh ich,
aus meinen Einsamkeiten komme ich,
weil, um mich zu begleiten,
mir meine Gedanken genügen.
Auch weiß ich nicht, was in dem Dorf vorgeht,
in dem ich lebe und in dem ich sterbe.

Auch Gao Xinjiang  sprach in einem Buch von mir (der Beitrag Spurlos im September). Da gibt es eine Geheimgesellschaft der Schreibenden (fange ich auch schon mit diesem Blödsinn an: Mitarbeitende, Fahrradfahrende …) über die Zeiten und die Räume hinweg. Ein Spanier, der fast 400 Jahre tot ist und ein Chinese, der 8000 Kilometer von hier lebt und arbeitet, sind mir näher als die Menschen in meiner nächsten Umgebung. Auf Spanisch klingt das besser:

A mis soledades voy,
de mis soledades vengo,
perché para andar conmigo
mi bastan mis pensamientos.
No sé que tiene al aldea
donde io vivo e donde io muero.

Es ist sehr lang, das Gedicht. Lope de Vega spricht von seiner Zeit und seiner Umwelt und überhaupt: vom Leben. Ein paar Sätze daraus (selber übersetzt, obschon die Übersetzung von Erwin Walter Palm, 1910-1988, vorzüglich ist):

Ich bin weder gut noch böse mit mir,
aber es sagt mir mein Verstand,
dass ein Mensch, der nichts als Seele ist,
gefangen ist in seinem Körper.
(…)
Ich brüste mich nicht, verständig zu sein,
elend zu sein brüste ich mich,
denn die, die glücklich sind,
wie können sie geistreich sein!
018Nicht dauern kann die Welt,
denn sie sagen, und ich glaube es,
dass sie wie gesprungenes Glas klingt
und bald zerschellen muss.
Es ist Zeichen für Verstand,
dass wir alle ihn verlieren.

(…)
In zwei Zeitaltern leben wir,
in dem eigenen und in dem der anderen,
aus Silber das fremde,
aus Kupfer das unsrige. 
(…)
Alle gehen gut gekleidet einher
und erkundigen sich nach den Preisen,
und oben sind sie Römer,
nach unten sind sie Pilger.
(…)
008Ich höre die Glocken läuten
und es erschreckt mich nicht, was möglich wäre,
dass an der Stelle vieler Kreuze
es so viele tote Menschen gibt.
In Augenschein nehm ich die Grabstätten,
deren ewiger Marmor
ohne Worte ausspricht, dass 
ihre Bewohner nicht ewig waren.
(…)

Dann äußert Lope de Vega noch Neid gegenüber denen, die bedürfnislos und ohne Verpflichtungen leben, die begütert und gleichzeitig zufrieden sind  — solche Leute gibt es natürlich nicht — und schließt:

Mit diesem Neid, den ihr hörtet,
und dem, was ich im stillen erdulde,
geh ich in meine Einsamkeiten,
und aus meinen Einsamkeiten komme ich.

 

 

 

 

 

 

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