Auftritte von Frauen (2): Kristin
Eine wunderbar poetische (lange) Stelle fand ich in dem Roman Kristin Lavranstochter, den Sigrid Undset 1922 veröffenlicht hat. 1928 bekam die Norwegerin dafür den Literatur-Nobelpreis. Unten tritt die wichtigste Frau des Buches auf, und wir sehen sie durch die Augen des Mannes, der sie liebt: Simon.
Der Roman hat über 900 Seiten und erzählt das Leben dieser zauberhaften Kristin im 14. Jahrhundert in Norwegen. Wir sind schon im letzten Drittel. Kristin, die unbeugsame, leidenschaftliche, kompromisslose Frau hat sieben Söhne geboren, und Simon ist mit ihrer jüngeren Schwester verheiratet. Er war ihr erster Verlobter, doch Kristin verliebte sich Hals über Kopf in einen anderen, Erlend. Dennoch hat Simon hat nie aufgehört, Kristin zu lieben.
»Es war Kristin, die kam. Er brauchte sich nicht umzudrehen, er kannte ihren leichten Schritt. Sie trat vor und stand neben ihm in der Abendsonne. So hold und fein, dass sie ihm nie schöner geschienen hatte. Und plötzlich glaubte er zu fühlen, er würde auf irgendeine Weise emporgehoben und schwimme selbst in diesem Licht — er atmete tief aus; mit einem Male dünkte ihn, es sei schön zu leben. Eine reiche und goldene Seligkeit überschüttete ihn vollkommen.
»Sie war seine süße Freundin, und alle schweren und bitteren Gedanken, die er je gedacht hatte, waren nur wie halbvergessene Torheiten. Arme Freundin, könnte ich dir doch nur Gutes tun. Würdest du doch bloß wieder froh, wie gerne gäbe ich mein Leben her, könnte es dir nützen.
Ach ja, denn er sah es wohl, ihr liebliches Gesicht war gealtert und verbraucht. Unter den Augen hatte sie tausend kleine Falten, ihre Haut hatte den hellen Schein verloren; sie war viel derber und sonnverbrannter geworden, und unter der Bräune war sie bleich. Ihm aber würde sie immer schön scheinen, denn die großen grauen Augen und ihr feiner stiller Mund, das kleine runde Kinn und dann ihr ruhiges gedämpftes Wesen waren das Schönste, was er auf Erden kannte.
»Und dann war es schön, sie wiederum einmal so gekleidet zu sehen, wie es sich für eine hochgeborene Frau geziemte. Das kleine dünne Seidentuch verdeckte die goldbraunen Haarmassen nur halb — die Zöpfe waren so aufgesteckt, dass sie bei den Ohren hervorguckten —, man sah jetzt graue Fäden im Haar, aber das tat nichts. Und dann trug sie ein prachtvolles blaues Obergewand aus Samt, mit Hermelinpelz verbrämt; es war vorn so tief ausgeschnitten und die Armlöcher waren so weit, dass es über Brust und Schultern nur dem Brustriemen eines Geschirrs glich; das sah schön aus. Darunter schmiegte sich etwas Sandgelbes, ein Untergewand, glatt an ihren Leib an, bis hinauf an die Halsgrube und vor bis zu den Handgelenken. Es war mit vielen kleinen vergoldeten Knöpfen geschlossen, und diese rührten ihn so innig. — Gott möge ihm verzeihen, aber alle diese kleinen goldenen Knöpfe erfreuten ihn wie der Anblick einer Engelschar.
»Er stand da und fühlte den starken ruhigen Schlag seines eigenen Herzens. Irgend etwas war von ihm abgeglitten — ja, wie Fesseln. Schmerzliche, verhasste Träume, sie waren das Blendwerk der Nacht, und jetzt erblickte er seine Liebe zu ihr im Licht des Tages, in voller Sonne.
»Du siehst mich so seltsam an, Simon — warum lächelst du so?«
Der Mann lachte auf, leise und übermütig, antwortete jedoch nicht. Draußen vor ihnen lag das Tal, erfüllt von der goldenen Flut der Abendsonne. Scharen von Vögeln zwitscherten und sangen metallisch am Rand des Waldes, dann erklang irgendwo oben im Wald der volle klare Gesang der Drossel. Und da stand sie, wurde warm von der Sonne, leuchtete in ihrem prächtigen Staat, dunklen kalten Häusern entschlüpft und groben, schweren Kleidern, die nach Schweiß und Arbeit rochen. Meine Kristin, wie gut, dich wieder einmal so zu sehen.«
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