Die Volva erzählt

Vor drei Jahren hatte manipogo Odin vorgestellt, den Obersten der germanischen Götter, der der Volva lauscht, die ihm die Götterdämmerung und eine neue Welt prophezeit. Zuvor jedoch schilderte sie die Entstehung der Welt: in den Versen der Voluspa, dem ersten Kapitel der poetischen Edda. 

024-5Die Voluspa ist der berühmteste Abschnitt der Edda, die zwischen 1000 und 1300 entstanden sein soll. Ich hatte Lust, die Strophen ins Deutsche zu übersetzen. Es gibt 66 davon, aber wir haben ja Zeit. Die Volva (oder Völva), die Weise aus dem unterirdischen Reich (hat mein Volvo was mit ihr zu tun?) deklamiert also:

1
Ich hörte alles / von den heiligen Rassen,
von Heimdalls Söhnen / hochgesinnt und gern bereit.
Du willst, Val-Vater / dir erzählen lassen
Alte Geschichten / von Männern aus alter Zeit.

2
Ich entsinne mich /der Riesen im heiligen Traum
Die Brot mir gaben / in vergangenen Tagen.
Neun Welten kannt‘ ich, / die neun in dem Baum,
die mächtigen Wurzeln in der Erde vergraben.

descubre-todo-sobre-las-volvas-personajes-mitologicos-4Die neun Welten:
Asgarth (die Götter)
Alfheim (Elfen)
Midgard (Menschen)
Jotunheim (Riesen)
Muspellsheim (Feuer)
Svartalgaheim (die dunklen Elfen)
Niflheim (nochmal Elfen)
Nitharvellir (Zwerge);
die neunte Welt ist unklar.

Der mächtige Baum ist Yggdrasil, der Baum der Welt.
Rechts im Bild: die Volva (auf lacunademagni.blogspot.com)

3
In der Zeit / als Ymir lebte:
Kein Meer, keine Wellen / und auch kein Sand.
Und keine Erde, / kein Himmel, der hochstrebte,
Nur ein gähnender Abgrund / Nichts Grünes man fand.

4
Dann hoben Burs Söhne / das Land empor,
das mächtige Midgard / erschufen sie auch.
Vom Süden kam Sonne / der Stein nicht mehr fror.
Und grün war der Boden, / voll Flechten und Lauch.

5
Die Sonne im Süden, / die Schwester vom Mond
Reicht mit der rechten Hand / über den Himmelsrand.
Doch wusste sie nicht, / wo sie nun wohnt.
Der Mond indessen / seine Macht nicht verstand,
Und die Sterne nicht wussten, / wo ihr Ort sich befand.

6
Die Götter nahmen / ein ihre Sitze
Die Heiligen / und hielten Rat dieses Mal.
Namen gaben sie / dem Dämmer, dem Mittag, der Hitze
Sie nannten den Morgen / und den Mond, der wird schmal
Nacht und den Morgen, / gaben jedem Jahr eine Zahl.

7
In Ithavoll bauten / die Götter alle
Schreine und Tempel / von hoher Gestalt.
Sie entzündeten Feuer / und schufen Metalle,
Schmiedeten Zangen / und Beile mit großer Gewalt.

8
Im Frieden saßen sie, / auf den Tischen das Spiel,
Es fehlt‘ nicht an Gold, / sie wussten ja nicht … (da geheim)
Drei riesige Mädchen erschienen, / was keinem gefiel.
Sie kamen direkt / aus Jotunheim.

Mit den riesigen Mädchen waren vermutlich die drei Schicksalgöttinnen gemeint, die Nornen. Nach dem 8. Abschnitt gibt es einen Bruch; vermutlich war etwas verlorengegangen, das Gedicht ist ja fast 1000 Jahre alt. Die Volva zählt in den nächsten 8 Abschnitten die Namen von Zwergen herunter, und danach kommt man wieder klar. In Teil 17 wird das erste Menschenpaar erschaffen, Ask und Embla.

17
Dann aus der Menge / zwei hervorkamen,
Aus der Götter Heim, / mit Gnaden gebracht.
Zwei ohne Schicksal, / das Land sie sich nahmen:
Ask und Embla, / ohn‘ jede Macht.

18
Ihnen fehlten die Seele / und auch die Sinne,
die Wärme, das Wache, / die lebhafte Farbe.
Die Seele gab Odin, / und Hönir die Sinne,
Hitze gab Lothur (Loki) / und die lebhafte Farbe.

19
Ich kenne die Eiche, ihr Name Yggdrasil,
Man gibt viel / weißes Wasser dem Baum.
In die Täler / fällt kostbarer Tau viel,
Grün bei Urths Quelle, / wächst er hoch in den Raum.

20
Dann kommen die Mädchen / an Weisheit reich
Drei aus den Wurzeln / in Baumes Mitte.
Urth heißt eine, / Verthandi folgt gleich
In Holz schnitten sie / — Skuld war die dritte,
Gesetze den Menschen / für alle gleich,
Und ihr Schicksal, ihr Leben / und deren Sitte.

21
Der erste Krieg auf der Welt / den wir erkannten
Als die Götter mit Speeren / Gollveig trafen
Und in der Halle von Hor / sie verbrannten.
Drei Mal verbrannt / drei Mal entschlafen
Stets wiedergeboren / und auferstanden.

22
Heith nannten sie sie / und suchten nach ihr
Der Seherin, Hexe / geschult in Magie
Die Sinne betört‘ sie / und macht alle wirr
Für böse Frauen / eine Freude war sie.

Gollveig könnte Freija sein, die germanische Liebesgöttin. Und Heith nannte man damals die weisen Frauen.

Damit wären wir bis Stanza 22 gelangt, und morgen geht es weiter. 

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