Grenzfälle

Jeden Monat einen Fahrradbeitrag! Im Januar kam García Márquez als 90-jähriger Radfahrer vor, im Februar gab’s traurige Ghost Bikes und Robin Williams als Fahrradfreak, und für diesen Monat bediene ich mich bei der Radwelt, der Zeitschrift des ADFC (Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club), bei dem ich Mitglied bin.

ayersrockVorgestellt wird in der März-Ausgabe (das nächste Heft erscheint Anfang Juni) etwa Ulysse Gaudaré, ein französischer Agrarexperte Jahrgang 1993, der vergangenes Jahr 8 Monate in Südeuropa und auf dem Balkan mit dem Rad herumfuhr und Landwirte dazu befragte, wie sich die Klimaveränderung bei ihnen auswirkt. (Das ist ein Trend: Man will eine Mission, man macht nicht einfach eine Radtour. Man will immerzu etwas dokumentieren und sich wichtig machen.)

Ulysse ist ja der französische Name für Odysseus, Homers Held, der nach 20 Jahren seiner »Odyssee« nachhause zurückkehrt. Wir müssen uns unbedingt den legendären Song Heureux qui comme Ulysse von George Brassens anhören, wozu im Video Fernandel sein Pferd liebkost.

Die Überschrift des Ulysse-Artikels hieß »Beim Radfahren gibt es keine Grenze zwischen mir und der Umwelt«.  Das ist schön gesagt, aber auch schön inhaltsleer. Trotz allem bin es ja ich, der alles erfährt und die Umwelt definiert, die Welt um mich her, die es als Begriff sicher vor 100 Jahren noch nicht gab und vor 500 Jahren gleich gar nicht. Durch die Definition Umwelt ist die Grenze ja eingeführt, die so tapfer geleugnet wird. Es ist sehr schwer, finde ich, mit dem Rad dahinzufahren und nichts dabei zu denken; nur zu schauen und sich zu vergessen.

DSCN5014Ein guter Freund sagte kürzlich, nach zwei Stunden auf dem Rad langweile er sich eigentlich; er wolle dann etwas anderes tun. Ein kleiner Mystiker muss man schon sein, wenn man gerne und lange Rad fährt, denn mehr noch als die Vermengung des Ichs mit Landschaft und Wetter werden Psyche und Körper eins, was sie zwar immer schon sind, aber hier verändern sie sich gemeinsam. Man fährt sich in eine Trance, man ist so angenehm gelöst und weggetreten nach einer langen Tour, und bei den Schamanen führten körperliche Strapazen, gepaart mit stundenlangem Trommeln, zu mystischen Erlebnissen oder dem Austreten aus dem Körper.

Autoofahren kann auch etwas Entspannendes haben, man verliert sich so schön dabei und ist dennoch höchst konzentriert, aber natürlich sind diese heutigen riesenhaften Fahrzeuge eine Pest. Vor 20  Jahren noch herrschte auf der Straße durch mein Dorf kein Verkehr; heute musst du aufpassen. Und da die Autos so fett geworden sind, nehmen sie viel Platz ein. In der Radwelt war ein hübsches Plakat mit dem Hinweis, das durchschnittliche Kinderzimmer sei 12 Quadratmeter groß, und auf einem Auto-Parkplatz fänden 10 Fahrräder Platz. Das wissen wir alle, doch was nützt es uns?

2024-03-05-0001

 

kkk

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.