Die Neue Frau
Ich habe einen ganz neuen Film gesehen, 5 Tage nachdem er in den deutschen Kinos anlief! Das ist ein Novum. Mit meiner Schwester sah ich in Müllheim Maria Montessori von Léa Todorov, der im Original La Nouvelle Femme heißt, Die Neue Frau. Der Verleih (neue visionen, Berlin) dachte wohl, das ist eh‘ ein Nischenfilm, der muss einen klaren Titel haben. Traut den Zuschauern doch etwas zu!
Es ist ein dunkler, langsamer Film, der viel bei Kerzenlicht gedreht wurde. Lange Einstellungen, viele Blicke auf die süßen spielenden, behinderten Kinder. Der Film folgt dem Leben der Montessori (Jasmin Trinca), die es endlich schaffte, als eine der ersten 5 Frauen in Italien Medizin zu studieren und ein Heim für diese Kinder zu gründen. Als Frau wird sie nicht ernst genommen; noch dazu hat sie von Doktor Montesanto einen kleinen Sohn, Luigi, der verborgen werden muss, denn ein »uneheliches« Kind hätte dem Ruf des Doktors schaden können.
Schön ist diese Parallelgeschichte um die Pariser Salondame Lily (Leïla Bekhti), die ihre behinderte Tochter (Tina) gern abgeben möchte und dann doch allmählich erkennt, dass sie ihr ans Herz gewachsen ist, dass sie zu ihr gehört. (Rechts ein Bild aus dem Film, dank neue visionen: Maria links und Lily.) Maria Montessori wird hart arbeiten und ihren Luigi erst wieder treffen, wenn er 15 Jahre alt ist; doch dann wurde er ihr Vertrauter und lebenslanger Sekretär, der ihre Gedanken weitertrug. Opulente Inneneinrichtung sehen wir im Film, die Musikuntermalung ist erstklassig, und Rührung stellt sich ein.
Léa Todorov ist übrigens die 1982 geborene Tochter des berühmten bulgarischen Philosophen Tzvetan Todorov mit seiner zweiten Frau Nancy Houston, die im Film Betsy mimt, eine wohhabende und wohlwollende Mäzenin.
Maria Montessori wurde 1870 in Chiaravalle geboren und starb 1951 in Holland. Das Mussolini-Regime hatte ihre Einrichtungen unterstützt, aber dann trennten sich ihre Wege, da die Faschisten die Kinder für sich vereinnahmen und zum Uniformtragen zwingen wollten. Ihr Appell im Film lautet, die Kinder zu lieben und sie zu fördern.
Kürzlich brachte eine Pädagogikprofessorin ein Buch über sie heraus mit angeblichen Enthüllungen, der Deutschlandfunk berichtete, die NZZ machte mit,wie überhaupt unser wunderbarer »Qualitätsjournalismus« gern bereit ist, jemanden in die Pfanne zu hauen. Es gibt ein paar verfängliche Aussagen in ihren Büchern, als sie jung war, doch in ihrem Buch Kinder sind anders von 1950, kurz vor ihren Tod, sind mir keine unschönen Äußerungen aufgefallen.
Sie soll ein »Ministerium für die Verbesserung der Rasse« gefordert haben, hieß es. Das geforderte Ministerium hieß ministero della specie, der Spezies: unserer Spezies, der menschlichen Rasse. Bei unserer Vergangenheit richt es, jemanden mit diesem Wort zusammenzusperren, um ihn zu beschmutzen. Heiner Barz, Professor in Düsseldorf und Experte für Reformpädagogik, sah in dem Buch »grösstenteils haltlose Vorwürfe«. Vergessen wir es!
Maria Montessori sagte: Gebt den Kinden die Zukunft! — Sie glaubte an deren unbegrenzte Entwicklunsgfähigkeit und kämpfte gegen den Analphabetismus. Sie war Pazifistin und trat für Frauenrechte ein. Die Montessori hat alle Kinder geliebt. (Unten eine Bildreihe des Montessori-Landesverbands Bayern.)
In der englischen, französischen und italienischen Wikipedia-Version findet sich keine Kritik. Und der französische Film wurde gemacht, weil es in Frankreich diese Kritik nicht gibt; und es gibt sie nicht, weil nichts dran ist.
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