Das Zitat im „Tatort“
In Büchern wird manchmal auf andere Bücher angespielt; oder ein Name erinnert an den Helden eines anderen Werks. Nur Literaturliebhaber erkennen, was gemeint ist. Die Autoren bauen gern etwas ein als Reverenz an ihre Vorbilder, es ist ein intellektuelles Spiel. In Filmen gibt es so etwas auch. In einem frühen Tatort mit Schimanski fand ich ein Zitat, und wie ich mich darüber freute!
Wir blicken kurz auf den Beitrag von gestern zurück. — Mit Franziska hatte ich ja den Tatort transit ins jenseits von 1976 gesehen, den mit den beiden Blondinen. Götz George spielte mit. Plötzlich erwachte in mir der Wunsch, die alten Tatorte mit Kommissar Schimanski aus Duisburg zu sehen, die von 1981 bis 1991 liefen, 27 an der Zahl. Viele davon kann man auf Youtube sehen, sie sind immer nur eineinhalb Stunden lang (Klar: nach der Tagesschau um 20.15 fingen sie an, wie heute, und sie enden um 21.45 Uhr). Schimanski wurde nach der 700. Tatort-Sendung 2008 zum beliebtesten Fernseh-Kommissar gewählt.
Ich schaute mir also Das Mädchen auf der Treppe an, den vierten Schimanski-Tatort von 1982. Ein 18-jähriges Mädchen sitzt auf der Treppe vor Schimmis Wohnung, weil es seine Mutter sucht. Und — sie ist tatsächlich tot, ermordet. Schimanski und Thanner (Eberhard Feik) suchen den Täter. Toll ist die Filmmusik der deutschen Band Tangerine Dream (hier spielen sie 2012 in Zürich die Musik), man denkt an »Miami Vice«, die Serie mit Don Johnson, die von 1984 bis 1991 lief. Elektronische Musik als Klangteppich unter den Bildern, das ist typisch für die 1980-er Jahre. Manchmal kam es auch richtig druckvoll rüber, machte Spaß.
Ein Verdächtiger rückt ins Rampenlicht. Wo lebt er? Katja, das Mädchen, erinnert sich an einen alten Freund ihrer Mutter. Bei ihm habe sie vor 10 Jahren mal gewohnt. Sie (Schimanski, Thanner und Katja) schauen sich alte Bilder an. Plötzlich fällt ihr ein:
Vielleicht kenne ich ja das Haus in Oberhausen?
Die Kommissare merken auf. Und sie fahren hin, lassen sich führen, gefolgt von einem Polizeiwagen. Rein in eine Straße, in eine andere. Ob ihr etwas bekannt vorkomme? Sie sagt:
Mensch, das sieht ja alles gleich aus hier. Ich hab keine Lust mehr. Ich will Geburtstag feiern.
Diese Szene dauert genau 40 Sekunden, im Film zu sehen von 1:07,29 (als Katja sagt »Vielleicht kenne ich ja das Haus?«) bis 1:08,18.
Und das war das Zitat! Acht Jahre zuvor war der Film Alice in den Städten von Wim Wenders erschienen. Der Journalist Philip Winter (Rüdiger Vogler) fliegt von den USA nach Amsterdam, trifft eine Frau (Lisa Kreutzer) und deren 8-jährige Tochter Alice (Yella Rottländer). Die Mutter verschwindet, und plötzlich hat Winter die schnippische Alice auf dem Hals. Was tun mit ihr? Sie hat eine Oma in Oberhausen, aber sie besitzt nur ein Foto vom Haus, und da sieht ja alles gleich aus. Also fahren sie im Renault R4 von Duisburg nach Oberhausen und noch weiter herum, und der Ausschnitt mit der Fahrt ist wunderbar und hier zu sehen; der Ruhrpott in den 1980-er Jahren, zu Gitarrenmusik.
Dann lese ich noch über den Regisseur Peter Adam (1945-2019), er habe an der Hochschule für Film und Fernsehen in München ab 1967 studiert und die Schule 1970 abgeschlossen, gemeinsam mit Wim Wenders. Aha! Jetzt denkt man sich: Die Szene war kein Zufall und wirklich Absicht, Adam wollte seinen Schulkameraden Wim Wenders würdigen und ihm eine Freude bereiten.
Und uns hat er auch eine Freude bereitet, wir haben es gemerkt!
√ Δ λ
Dann sah ich mir den ersten Schimanski-Tatort an, gedreht 1981 von Hajo Gies, der übrigens auch mit Adam und Wenders 1970 die Hochschule abschloss. Der Film heißt Duisburg-Ruhrort. Und darin fiel mir ein weiteres Zitat auf. In dem Krimi (hier auf Youtube) steht Horst Schimanski bei 1:03,00 vor einem Werbeplakat mit dem großen Konterfei von Hansjörg Felmy (1931-2007), der für Polaroid wirbt. Das dauert nur zwei Sekunden. Auch hier versteht man’s, wenn man etwas recherchiert: Es ist eine Verbeugung vor Felmy, der von 1974 bis 1980 im Tatort den Kommissar Haferkamp verkörperte, der vor Schimanski der beliebteste Tatort-Kommissar war. Der Neue wirft einen Blick auf den Alten. Schön auch das!
Hajo Gies hat von den 27 Schimanski-Tatorten übrigens 11 gedreht, Peter Adam 5. Das war eine familiäre Angelegenheit.