Rückkehr ins Leben (19): Mit der Identität von Toten

Jemand hatte Krimis in die Papiertonne geworfen, ich holte sie raus und vertiefte mich in den Roman Die Frau im Pelzmantel von Martha Grimes (1998), weil ihr Held, der Superintendent Richard Jury, in London eine blonde Frau verfolgt, die in einem Park verschwindet — und 2 Tage später wird da eine Leiche aufgefunden: eine blonde Frau im Pelzmantel. Erst nach 500 Seiten ist das Rätsel gelöst. 

elephantEine blonde attraktive Frau … da dachte ich doch gleich an Roger Fourvières aus dem Buch von Boileau/Narcejac (D’entre les morts), der Madeleine verfolgt, die eigentlich nicht Madeleine ist, und an den Hitchcock-Film Vertigo; manipogo hatte ja erst kürzlich einen Artikel darüber. Die Madeleine, die beim Sturz vom Turm starb, war eine andere. Im Buch. Bei Hitchcock richtet James Stewart Kim Novak so her, dass sie der toten Madeleine aufs Haar gleicht. Der Regisseur erklärte, der Mann sei nekrophil; er wolle mit einer Toten Sex haben. Doch das klingt nicht überzeugend. Er wollte eben einfach wieder mit der alten Madeleine zusammen sein und ließ sie wiederauferstehen.

Auch der Beamte Jury sieht, dass die Tote vom Park nicht die Frau ist, die er verfolgt hat. Warum hat er sie verfolgt? Wohl aus erotischem Interesse. Die Frau im Pelzmantel geht in den Park; er bleibt draußen. Ihr zu folgen, wäre vielleicht zuviel Intimität. Angst vor Sex?

Die US-Amerikanerin Martha Grimes (1931 geboren) hatte viel Erfolg mit ihren Krimis, doch es sind halt Krimis: wie üblich mit viel Atmosphärischem aus London, vielen Personen, viel Gerede, und ich überflog den zweiten Teil nur, um die Lösung zu finden.

DSCN4940Durch Zufall trifft Jury sie wieder (wie Fourvières durch Zufall fünf Jahre später wieder auf »Madeleine« trifft). Also: Die Frau, die Richard Jury verfolgte, war eine Profi-Killerin, die in vier verschiedenen Ländern Auftragsmorde mit Gewehr und Zielfernrohr verübte. Für jedes Land hatte sie eine eigene Identität und sich Pässe anfertigen lassen, die auf den Namen von Kindern lauteten, die schon mit 4 oder 5 Jahren gestorben waren. Auch in London hatte sie einen solchen Pass. Dann sieht sie eine Frau, die ihre Doppelgängerin sein könnte, setzt sich auf ihre Fersen und studiert ihr Leben. Dann bringt sie sie um und zieht sich den Pelzmantel an, damit bestimmt ein paar Leute sich an sie erinnern würden, bevor sie in Fulham ausstieg und zum Park ging, wo sie die Leiche geschickt in einem Beet platzierte.

Jury ist sich sicher, dass die Frau, die sich nun Kate McBride nennt, nicht die Tote ist. Am Ende des Buchs richtet sie einen Revolver auf ihn und verschwindet. Das war eine gute, offene Lösung.

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Und zum dritten (non c’è due senza tre, sagt der Italiener: zur Zwei kommt immer die Drei): Noch einmal zwei blonde Frauen, die sich ähnlich sehen. Und zwar in dem Tatort transit ins jenseits von 1976. Wegen des Titels hatte ich ihn ausgewählt, um ihn zusammen mit meiner Nichte Franziska zu sehen … und dann wieder zwei Blondinen. Die Bedeutungen verfolgen mich eben, und nichts kommt uns zufällig entgegen. Dass in kurzer Zeit drei dieser Geschichten meinen Weg kreuzten, ist vielleicht das Witzige daran, nichts Anderes.

In dem Tatort sind Marius Müller-Westernhagen und Götz George die Bösen, aber diese Namen sagen nur Leuten über 50 etwas. Sie wollen eine Frau aus der DDR nach Westdeutschland bringen, auf der Transit-Autobahn, die die isolierte Grossstadt Berlin mit dem Westen verband. Die DDR-Frau stellt sich an die Autobahn, ein Fahrer kommt mit der Westdeutschen an, die mittlerweile so aussieht wie die Fluchtkandidatin, extra blondiert (so wie es James Stewart im Film Vertigo mit Kim Novak macht; der Tatort zitierte mal wieder, weil die früheren Regisseure begeisterte Cineasten waren, denke ich).

Die beiden tauschen die Plätze, und die DDR-Bürgerin reist mit deren Pass ein. (So ganz klar war die Geschichte nicht.) Durch eine Auseinandersetzung stürzt die Westdeutsche und stirbt. Das führt zu Problemen.

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Also drei Paare, praktisch Doppelgängerinnen, von denen jeweils eine sterben muss, damit die andere mit deren Papieren weitermachen kann. Ein Verwechslungsspiel. Vertauschbare Identitäten. Neue Leben. Die blonde elegante Frau ist irgendwie ein Fetisch des Mannes. Alfred Hitchcock war verrückt nach blonden Hauptdarstellerinnen. Weiter komme ich mit meiner Analyse nicht.

In einem Tatort (Miriam, mit Schimanski, 1983) hat die Frau des reichen Mannes jemanden erstochen; der Mann lässt die Haushälterin umbringen, und seine Frau lebt mit deren Identität weiter. Auch im Schimanski-Tatort Gebrochene Blüten von 1988 haben wir das: Paula Julian nimmt die Identität von Manuela Prinz an, die an Drogen starb. Anscheinend ein beliebtes Tatort-Motiv. Alle Screwball Comedies leben von Vertauschungen und Verwechslungen.

Wir sind zwar individuell, jeder von uns, doch gleichzeitig verwandt mit anderen (mit allen unserer Spezies), demnach auch prinzipiell vertauschbar. Freilich halten wir uns für unverwechselbar. Dieser Widerspruch ist unauflösbar, wenn wir nicht den Buddhimus gutheißen, der rät, sich auszulöschen, sich nicht für wichtig zu nehmen, alles an sich abgleiten zu lassen. Vertauscht mich, bitteschön! Es ist mir egal.

 

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