Alda Merini
Lang ist’s her, da holte ich mir bei der Uni Freiburg einen Gedichtband von Alda Merini (1931-2009), die auch viele junge Leserinnen und Leser hatte: vermutlich, weil sie einfach schreibt, das Schlimme nicht ausspart und doch Hooffnung verkörpert. Frau Merini bracht ja viele Jahre in der Psyhiatrie zu.
Schon ihr erster Gedichtband, als sie 22 Jahre alt war, erregte Aufsehen. Pier Paolo Pasolini bewunderte ihre Arbeiten. Doch dann bekam Alda Merini mit 25 Jahren, nach der Geburt ihrer ersten Tochter, Depressionen und lebte 20 Jahre lang in psychiatrischen Anstalten. 1981 starb ihr Mann, sie heiratete wieder und ging mit ihrem zweiten Mann nach Taranto. Später zog sie nach Mailand, zu den Kanälen des Navigli-Viertels, und 1994 soll sie in einem Interview gesagt haben:
Ich habe mein ganzes Leben genossen, trotz allem, was man über die Irrenanstalten sagt. Ich habe das Leben genossen, weil mir auch die Hölle im Leben gefällt und das Leben ist oft die Hölle. Für mich war das Leben schön, weil ich es teuer bezahlen musste.
Klare Sache. Ich übersetze ein Gedicht von ihr, das ich in ein Notizbüchlein geschrieben hatte.
Ich bin wie ihr dabei überrascht worden,
als ich mir das Leben klaute,
und rausgeworfen wurde ich aus meinem Verlangen nach Liebe.
Ich bin wie ihr nicht angehört worden
und sah das Gitter des Schweigens,
um mich hochwachsen, und ich hab mir die Haare ausgerissen.
Ich habe wie ihr geweint,
habe gelacht und gehofft.
Ich habe wie ihr gespürt, wie sie mir die Kleider
vom Körper rissen,
und als sie mir meine Schande in die Hand gaben,
habe ich jeden Tag Schande gefressen.
Ich habe wie ihr dem Feind geholfen,
hab an mich armes Wesen geglaubt
und habe mich gefragt, was genau der Herr ist,
und aus dem Glauben, dass es ihn gibt,
Kraft geholt, und so schwebte das Martyrium
bloß noch um mich herum wie eine lebendige Taube.
Ich habe wie ihr die Liebe allein verzehrt,
weit weg von Christus, dem Auferstandenen.
Aber wie ihr bin ich zurückgekehrt zur Wissenschaft
vom Schmerz des Menschen, was meine Wissenschaft ist.
Ein zweites, auch ohne Titel (für die Richtigkeit der Übersetzung kann ich nicht garantieren, ich habe so schlampig geschrieben; doch ich glaube, kleine Abweichungen stören nicht, Hautsache, es klingt gut und ist stimmig.):
Dort unten, wo die Verdammten starben,
in der dekadenten und verrückten Hölle
des unendlichen Irrenhauses,
wo die erstarrten Glieder
sich in Schlamm hüllten
wie in ein semitisches Schweißtuch;
dort unten, wo die Schatten des Hinübergangs
dir die nackten Füße streiften,
die unter dem Leintuch hervorkamen,
und die heißen Binden
deine Handgelenke und Hände einschnürten
und du nach Fäkalien rochest;
dort unten im Irrenhaus,
da war es leicht, sich einzubilden,
dass du das Paradies berührst.
Ich machte es mit benebeltem Geist,
mit schweißnedeckten Händen,
das Brot hoch in die Luft erhoben
wie eine Schamlosigkeit Gott gegenüber;
dort unten im Irrenhaus,
wo die Schreie gedämpft wurden
durch blutbefleckte Kissen,
dort unten hast du Gott gesehen,
irgendwie, unter den grellscheinenden Ideen
deines großen Wahnsinns
erschien dir Gott,
und dein Körper ging in Stücke,
und die Stücke waren blond und duftend
und gingen unter und zerstreuten
Schwärme von plötzlich aufgetauchten Schwalben.
Und noch ein kurzes Gedicht, non c’è due senza tre:
Ich bin am Einundzwanzigsten des Frühlings geboren,
aber ich wusste nicht, dass, wenn du närrisch geboren bist,
die Schollen aufzureißen
einen Sturm entfesseln kann.
So sieht Proserpina es leicht
auf die Erde regnen,
auf die fetten freundlichen Keime,
und jeden Abend muss sie weinen.
Vielleicht ist das ihr Gebet.
Proserpina ist die Göttin der Toten und der Unterwelt, denn sie wurde von Pluto geraubt. Sie entspricht der griechischen Persephone. Das Bild rechts unten ist von Dante Gabriel Rossetti (1874) und zeigt Proserpina. Die anderen beiden Fotos sind von der offiziellen Homepage Alda Merinis, die wohl irgendjemand betreut.