Frauen und Sexualität
Als Stimmen von der »anderen Seite«, ergänzend zu Camus, arabische Schriftstellerinnen. Salwa Al-Neimi ist 1950 in Damaskus geboren, Salwa Bakr 1949 in Kairo, und dann haben wir noch andere verstreute Statements über Arabien und Frauen. Von Frauen.
Salwa Al-Neimi schreibt in Honigkuss (2008), sie stamme von einem anderen Planeten.
Es ist der Planet der weiblichen Sprache, die darauf wartet, dass ich sie erschaffe.
Sie setzt zu einem Hymnus über ihre Muttersprache an, und da denken wir wieder: Muttersprache / Vaterland. (Das wurde bereits einmal zitiert, Link unten.)
Ich muss nur einen Abschnitt lesen, und schon werde ich feucht. Keine andere Sprache vermag mich so zu erregen. Arabisch ist die Sprache des Sex. Im Augenblick der größten Hitze ist für mich Arabisch die einzige Zuflucht …
Das Buch Der goldene Wagen fährt nicht in den Himmel von Salwa Bakr von 1997 enthält einen knallharten Satz, der das ganze Buch wert ist.
Sie hasste es, wenn er mit ihr schlief, weil sie sich beschmutzt fühlte, wie ein Gebetsteppich, über den ein Schwein gelaufen ist.
In dem unten erwähnten Buch aus dem 16. Jahrhundert wird eine Frau gefragt, ob sie mit ihrem Mann geschlafen habe. Sie verneint das und erklärt:
Er hat mit mir geschlafen!
Und dann noch eine bedenkenswerte Passage aus dem Buch Anlass zu lieben der südafrikanischen Literatur-Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer (1923-2014). Sie lässt in dem Roman Jessie sagen:
Weißt du, Boaz, manchmal habe ich Angst, dass alles, was wir uns unter Liebe vorstellen — sogar Sex —, in Wirklichkeit fast immer Macht ist. … Dass man bloß manövriert hat. Wie ein Haufen Krokodile auf einer Schlammbank. Man spürt die Sonne und klettert aufeinander, nur um festzustellen, dass man ihr (der Liebe) damit auch nicht nähergekommen ist.
Dazu Virginia Woolf:
Frauen scheinen alle diese Jahrhunderte hindurch den Männern als ein Spiegel mit der köstlichen und magischen Eigenschaft gedient haben, ihnen ihr Abbild doppelt so groß zu zeigen.
Das können wir auch im Original wiedergeben, man kann es auch anders übersetzen:
Women have served all these centuries aslooking-glasses possessing the delicious and magical power of refelcting the figure of man twice its natural size.
Ende März schon hatte ich einen Beitrag über das Buch Das Alter von Simone de Beauvoir. Sie erzählt über zehn Seiten fast lustvoll über Dramen, Ausschweifungen und sexuelle Vorlieben von französischen Intellektuellen über 70 (Victor Hugo etwa). Sie erwähnt, die Frau besitze eine größere sexuelle Stabilität als der Mann. Sie könne aber bis ins hohe Alter aktiv sein. (Süß ist ja der Film Une jeune fille de 90 ans von Valeria Bruni Tedeschi, in dem sich eine 90-Jährige im Altenheim — Blanche Moreau — in den tanzenden asiatischen Animateur Tierry Thieû Niang verliebt, der nicht mal halb so alt ist wie sie. Hier ein winziger Auszug.)
Simone de Beauvoir erwähnt mit leichter Bitterkeit, dass der Status der Frau »relativ« sei: abhängig vom Mann. Dann schreibt sie noch:
Weder die Geschichte noch die Literatur haben uns ernstzunehmende Zeugnisse über die Sexualität der alternden Frau hinterlassen. Dieses Sujet ist noch mehr tabu als die Sexualität der alten Männer.
Man spürt im Pflegeheim, dass da etwas vor sich hinglimmt, manchmal sogar leicht brodelt. Es fehlen einfach Männer in den Heimen. Ich war natürlich stolz, wenn die 93-jährige sagte: »Jetzt kommt der Allerschönste!« Eine Frau fragte mich einmal aus dem Bett heraus: »Legst du dich zu mir?« Und bei der Fasnacht verliebte sich eine Bewohnerin in mich und rannte mir nach. Ihr Mann war gestorben, und man dachte, jetzt wäre es mit ihr vorbei; und nun das! Ihre vier erwachsenen Kinder waren entsetzt. Auf einem Spaziergang setzte ich der Frau auseinander, dass wir keine Beziehung haben könnten, weil ich im Heim arbeite …
Noch zwei Fundstücke:
In dem langen Film Die Wanderschauspieler von Theo Angelopoulos (1975) verfolgt ein Uniformierter im Regen eine Frau (ab 1:01,08). Er folgt ihr ins Treppenhaus, sie macht oben die Tür auf und verschwindet; er öffnet die Tür auch und kommt herein. Er fällt über sie her, ein Kampf entspinnt sich (1:01,40), und er geht zu Boden und lacht aus Verlegenheit. Dann steht er auf und stellt sich vors Bett. Sie kommandiert: »Zieh dich aus!« (1:01,40) Und er legt einen perfekten Striptease hin, zieht sich völlig aus; schließlich legt er doch seine Hände vors Geschlechtsteil. Da steht er nun — und sie verschwindet wortlos und schlägt die Tür zu.
Und dann noch ein fulminantes Buch: Das Leben der galanten Damen von dem Franzosen Pierre de Bourdeille, Seigneur de Brantôme (1540-1614). Es schildert hunderte Geschichten von betrügerischen Männern und liederlichen, unzüchtigen Frauen, und wir erhalten ein Sitttenbild des zügellosen späten 16. Jahrhunderts, freilich stets aus den höheren Schichten. Da ging es turbulent zu, den Frauen wurde dasselbe zugestanden wie den Männern (nur brachten die Männer die Frauen oft um, aus Eifersucht und Wut). Wer sich amüsieren will, fängt hier zu lesen an (und kann vermutlich nicht mehr aufhören). Wirklich köstlich, was der Herr von Brantôme in seinem Leben alles aufgeschnappt hat. Ein Sturz vom Pferd stoppte seine Militärkarriere und brachte ihn zum Schreiben. Veröffentlicht wurde das Buch erst 50 Jahre nach seinem Tod.