Wie war es? (3) Inanna in der Unterwelt

Die großen Jenseitsreisen in Literatur und in den Mythen unserer Welt: Nach denen von Bran, dem Iren (ca. im Jahr 1000) und Odysseus, dem Griechen (800 v. Chr., die Links stehen unten), gehen wir heute weit zurück und landen bei den Sumerern, die als erste geschrieben haben. Sie waren die ersten Dichter der Welt, soweit uns bekannt ist. Das war in Vorderasien und ungefähr 2500 Jahre »vor unserer Zeitrechnung.« 

Die Vorgeschichte: Im Epos von Gilgamesch (2100-1400 v. Chr.) wird erzählt, wie die Helden Gilgamesch und Enkidu den Dämon Humbaba töten und dann, königlich gewandet, vor Inanna erscheinen, der Königin des Lichts, der Liebe und des Kriegs. Sie ist entzückt und versucht, Gilgamesch zu ihrem Liebhaber zu machen. Dieser jedoch entsinnt sich der vielen anderen Liebhaber, die Inanna hatte, dieses eigensüchtige Biest, und fragt: »Und wären wir Liebende, würde es mir dann nicht ergehen wie den anderen?« Denn alle nahmen ein böses Ende. — Unten sehen wir eine Darstellung: Sumerer am Computer! (Da ist bestimmt getrickst worden, oder?)

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Inanna ist empört und zwingt mit der Drohung, die Türen zur Unterwelt aufzureißen, ihren Göttervater Aun, ihr Gugulanna zu übergeben, den Stier des Himmels. Sie jagt ihn auf Gilgamesch los, 300 junge Männer fallen durch ihn, doch Enkidu schlachtet den Stier, verliert dabei jedoch selbst sein Leben. Nun setzt sich Inanna in den Kopf, in die Unterwelt einzudringen, die von ihrer Schwester Ereschkigal geleitet wird. Und diese war verheiratet mit dem Stier des Himmels, an dessen Tod Inanna schuld ist. Warum will sie trotzdem hinab zu den Toten? Vielleicht will sie sich auch noch das Totenreich unter den Nagel reißen.

Inanna kleidet sich also schön und schärft ihrem Ratgeber Ninshubur ein, wenn sie nach drei Tagen nicht zurück sei, solle er an verschiedenen Stellen um Hilfe bitten. Sie holt sich in sieben Ländern sieben Schutzbriefe, und so klingt ein Mythos, der 4000 Jahre alt ist und in Steintafeln eingeritzt wurde: eindringlich, sich wiederholend wie ein Mantra. (Rechts: Inanna mit ihrem Ehemann Dumuzil.)

2636In Erech verließ sie Eanna,
— In die Unterwelt stieg sie hinab.
In Batibira verließ sie Emushkalamma,
— In die Unterwelt stieg sie hinab.
In Zabalam verließ sie Giguna,
— In die Unterwelt stieg sie hinab. 

In Adab verließ sie Esharra,
— In die Unterwelt stieg sie hinab. 
In Nippur verließ sie Baratushgarra,
— In die Unterwelt stieg sie hinab. 
In Kish verließ sie Hursagkalamma,
— In die Unterwelt stieg sie hinab.
In Agade verließ sie Eulmash, 
— In die Unterwelt stieg sie hinab. 

Dann meldet sie sich am Tor zur Unterwelt: »Ich bin Inanna, die Königin des Himmels!« Neti, der Torwächter, fragt sie: »Warum willst du in das Land, von dem kein Lebender je zurückkehrt?« Inanna, etwas heuchlerisch:

Weil meiner älteren Schwester Ereschkigal
der Gatte, Gugulanna, gestorben ist.
Ich will den Begräbnisriten beiwohnen.

Ereschkigal ist bestürzt, als sie das hört. Sie grübelt und befiehlt Neti, Inanna nur nach und nach durch jedes der sieben Tore eintreten zu lassen. An jedem Tor muss sie ein Schmuckstück und ein Kleidungsstück abgeben, und als sie vor ihre Schwester tritt, ist sie nackt. (Bild: in Schweden gemacht, irgendwo.)

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Und dann:

Die Annunaki, die Richter der Unterwelt, umringten sie.
Sie sprachen ihr Urteil aus.
Dann heftete Ereschkigal auf Inanna ihr Auge des Todes 
Sie sprach gegen sie das Wort des Zorns
Sie gab von sich den Schrei der Schuld 
Sie schlug sie
Inanna wurde zu einem Leichnam,
zu einem Stück verwesenden Fleischs
und man hängte sie an einen Haken an der Wand.

Inanna ist tot. Ninshubur wird nach 3 Tagen tätig, doch Elil und Mondgott Nanna zeigen keine große Lust zu helfen. Ein anderer Vatergott, Enki, hat ein Einsehen. Aus Schmutz schuf er die Kurgarru und gab ihnen das Essen des Lebens mit, den Kalaturru das Wasser des Lebens. (Dann fehlen, wie Stanley Noah Kramer schrieb, der Übersetzer des Werks, 24 Zeilen, die vermutlich darstellen, wie die Wesen hinabgelangten zu Inanna.) 60 Mal sollten sie den Körper mit dem Wasser des Lebens besprenkeln und ihm das Essen des Lebens zuführen. Die Anunnaki fliehen. Und Inanna erwacht.

Sie erreicht die Oberwelt, gefolgt von kleinen und großen Dämonen. Ninshubur wirft sich ihr zu Füßen, sitzt im Staub. Diese Szene wiederholt sich 4 Mal und wird immerzu mit denselben Worten wiedergegeben. Das zeichnet die uralten Mythen aus: eine schwerfällige, monotone Melodie, ein immergleicher Rhythmus:

In Umma, von den Sigkurshagga,
Shara warf sich ihr zu Füßen,
Saß im Staub, gekleidet in Dreck.
Die Dämonen sagen zu der reinen Inanna:
O Inanna, warte vor der Stadt, wir bringen ihn zu dir. 

Soweit hatte man bis 1961 die zerbrochenen Fragmente zusammengebaut, analysiert und übersetzt (hier können wir im unteren Drittel die englische Übersetzung verfolgen). Später fand man weitere Elemente und konnte den Abschluss zusammenstellen.

Vielleicht wollten die Dämonen Dumuzil, Inannas Ehemann, zu ihr bringen? Sie geht zu ihm und findet ihn schön gekleidet auf dem Thron. Er trauerte anscheinend nicht um Inanna, die deshalb wütend wird und den Dämonen befiehlt, ihn zu packen. Auch dass er sich rasch in eine Schlange verwandelt, hilft ihm nicht: Denn für Inannas Rückkehr muss ein anderes Wesen hinab ins Totenreich.

Dumuzil muss hinunter, aber seine Schwester Geshtihanna bittet für ihn und erreicht es, dass sie jedes Jahr ein halbes Jahr an seiner Stelle unten leben darf. So erklärte man sich die Jahreszeiten, und Ereschkigals Gatte war gerächt, da auch Inannas Gatte nun tot ist. Ihr war’s anscheinend egal. Die »reine Inanna«, die Göttin des Lichts, der Liebe und des Kriegs, wird sich wohl einen neuen Liebhaber suchen.

¤ Ζ ∞

Wir wollen nicht zu ausführlich werden, aber die Geschichte der Entzifferung der sumerischen Keilschrift ist abenteuerlich. Samuel Noah Kramer lernte erst ein paar Jahre die Schriftzeichen, und dann fand er Fragmente der Tafeln in Museen in Philadelphia und Istanbul und kopierte sie, und er ordnete die Bruchstücke richtig zu. Durch die Zusammenarbeit vieler Gelehrter über 200 Jahre wurden wir mit den ältesten Mythen der Menschheit beschenkt, und zum Spaß ein Auszug aus dem antiken Text, so fremd und jenseitig. Man erkennt immerhin inana. (Rechts ein paar Fragmente.)

pl20an gal-ta ki gal-ce jectug-ga-ni na-an-/gub\
dijir an gal-ta ki gal-ce jectug-ga-ni na-an-[gub]
inana an gal-[ta ki gal-ce] jectug-ga-ni na-an-[gub]
nin-ju an mu-un-cub ki mu-un-cub kur-ra ba-e-a-ed
inana an mu-un-cub ki mu-un-cub kur-ra ba-e-a-ed
nam-en mu-un-cub nam-lagar mu-un-cub kur-ra ba-e-a-ed
unug-ga e-an-na mu-un-cub kur-ra ba-e-a-ed
bad-/tibira\-a e-muc-kalam-ma mu-un-cub kur-ra ba-[e-a]-ed
zabalam-a gi-gunki-na mu-un-cub kur-ra ba-e-a-ed …

 

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Wie war es?Wie war es? (2) Die Reise des Bran.

 

 

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