Biedersinn und Brandgefahr
Im Zürcher Schauspielhaus wurde Mitte Juni zum letzten Mal das Stück »Biedermann und die Brandstifter« von Max Frisch aufgeführt, und wir waren dort. So richtig verstanden haben wir es nicht, außerdem war es recht nervig, Klamauk und Geschrei und sinnloses Herumgetue. Später belehrte uns ein NZZ-Artikel über die Hintergründe.
Erst hinterher begriffen wir etwas. Ein Autor der Neuen Zürcher Zeitung hatte geschrieben, dass der deutsche Intendant Nicolas Stemann verärgert gewesen sei, weil sein Vertrag (den er mit seinem Ko-Intendanten Benjamin von Blomberg erfüllte) nach 5 Jahren nicht verlängert worden war. Das war Anfang Februar. Die Inszenierung sei sozusagen ein Racheakt gewesen.
Das Stück war vor 66 Jahren an dieser Stelle uraufgeführt worden: 1958, ein Jahr nach meiner Geburt. Es ist ein eher langweiliges Ding. Gottlieb Biedermann ist ein Haarwasser-Industrieller, betrügt einen Mitarbeiter um eine Erfindung, der danach verarmt und sich das Leben nimmt, doch Biedermann ist’s egal. Dann nisten sich zwei Leute bei ihm auf dem Dachboden ein, und er möchte sich mit ihnen gut verstehen, spielt den souveränen toleranten Bürger, obwohl die beiden nicht verbergen, dass sie Brandstifter sind. Biedermann möchte das nicht sehen und leiht ihnen sogar Zündhölzer. Seltsam.
Könnte auch eine Anspielung auf die Zeit des Nationalsozialismus sein. Hitler und seine Spießgesellen kündigten Fürchterliches an, doch der Bürger zog es vor, das zu ignorieren und dachte, so schlimm werde es wohl nicht kommen.
Und dann stellt sich Stemann vor, dass das Schauspielhaus in Flammen aufgeht, und in einer Einspielung unterhalten sich zwei Männer und meinen, man könne gut ein Parkhaus auf dem Gelände einrichten. Das ist ja halbwegs witzig. Später fiel mir ein: Züri brännt! War das nicht eine Losung von Anfang der 1980-er Jahre? Die Rote Fabrik; das Autonome Jugendzentrum? Da war ich mal mit 23, bis sechs Uhr morgens, und kaum war ich weg, kam ein Großaufgebot Polizei. Die damals Randale machten (oder daran dachten), sind heute in Pension (oder abgetreten).
Warum mussten die beiden Intendanten gehen? Einem Artikel entnimmt man, dass der Verwaltungsrat »Theater für alle« forderte und bessere Einnahmen. Doch es hat nicht ganz geklappt, und dann forderten die Intendanten auch noch mehr Geld für Mitarbeiter. Ein Schauspieler bekommt angeblich nur 4200 Franken brutto Grundgehalt (konnte ich kaum glauben), ein Beleuchter 6500. Doch man hörte nicht, dass der Intendant auf Teile seines Gehalts verzichtet hätte, das immerhin, so eine Schätzung, 300.000 Franken im Jahr beträgt. Und unglücklich kommuniziert wurde auch, es gab Missverständnisse,
Giovanna hatte den Einfall, wie man für mehr Einnahmen sorgen könnte mit Theater für alle: Man müsse nur die Eintrittspreise senken. 90 Franken für so einen Abend, da zieht es einem die Schuhe aus. Für 90 Franken kaufst du dir besser ein Paar Turnschuhe, dann hast du zwei. Das ist die Schweiz, könnte man sagen, aber Kultur sollte bezahlbar bleiben. Für 90 Franken gehst du schön am Abend zu zweit zum Essen oder gehst Wandern wie wir (im gestrigen Beitrag): 30 Franken Zugfahrt, 30 Franken Kaffeetrinken, bleiben noch 30 für ein bißchen Sushi am Abend. Jenen Samstag Abend hatten sie vor der Oper eine Großleinwand aufgebaut: Public Viewing der Oper Carmen von Georges Bizet, direkt übertragen. Da saßen Tausende, und es kostete nix.
Die Schauspieler waren natürlich grandios, der Biedermann wurde sozusagen zu einer Rap-Oper, zu einem irren Klamauk, und man hatte den Eindruck, jeder durfte tun, wozu er Lust hatte. So ist das heute: Spektakel ohne Ende, volle Kanne, Hauptsache Chaos auf der Bühne. Die Inszenierung war anscheinend ein Erfolg, vielleicht der erste in der Ära Stemann/von Blomberg. Ironisch ist das. Der Intendant selber sagte, er hoffe, seine Version werde in die nächste Spielzeit übernommen werden. Fraglich.
Bertolt Brecht, der 1942 im Schaupielhaus schon Aufführungen hatte, hätte es vielleicht gemocht (Frisch weniger); allerdings wollte er, dass die Zuschauer etwas zum Nachdenken hätten. Wir haben auch nachgedacht, aber viel fiel uns nicht ein.
Das Schauspielhaus Zürich fing als Sprechbühne 1938 an. Während des Zweiten Weltkriegs war es das einzige freie deutschsprachige Theater (alle anderen wurden vom deutschen Nazi-Regime kontrolliert) und spielte viele antifaschistische Stücke. Unter dem Chefdramaturgen und späteren Intendanten Kurt Hirschfeld (gestorben 1964) fand das Zürcher Theater international Beachtung, und hervorzuheben ist noch die Leitung von Christoph Marthaler 2002/2003.
Als neue Intendanten ab 2025 stehen schon Pinar Karabulut (geboren 1987) und Rafael Sanchez fest. Viel Glück dann!