Schreib’s auf!

Der Verwaltungsaufwand im Gesundheitswesen ist irrsinnig geworden. Ärztinnen und Ärzte, Apothekerinnen und Apotheker, Pflegeheime, Krankenhäuser — alle klagen darüber. 24 Stunden mehr in der Woche, sagen die Zahnärzte, die am 18. Juni sogar einen Protest-Tag einschalteten. Es muss alles dokumentiert werden, und liest das jemand? Egal, es wird jedoch überwacht, gedroht und reglementiert.

Die Administration frisst Zeit weg, die für die eigentlichen Aufgaben fehlt. Immer mehr wird dokumentiert, denn was nicht dokumentiert ist, das ist nicht geschehen (das habe ich selbst einmal gehört), und so läuft die materialistische Überwachungs-Gesellschaft zu großer Form auf. Es muss gespart werden und es muss verwaltet werden. Das tut man, weil es möglich ist, und irgendwann sagt sich ein Student: Will ich Arzt werden, um stundenlang vor dem Computer zu sitzen? Wollte ich es nicht mit Menschen zu tun haben?

Wie sollen Pflegekräfte aus anderen Ländern, die mit der deutschen Sprache noch nicht vertraut sind, diese Herausforderungen meistern? Ohne sie sind wir verloren. Und sie fühlen sich verloren im Gestrüpp der Regeln. Die Digitalisierung ist ein weiteres Reizwort. Ich kenne nur vage das E-Rezept, habe mein erstes eingelöst, aber schon gab es Probleme: Das ursprüngliche Medikament war nicht verfügbar, also musste die Apothekerin die Zahnärztin anrufen und sich erkundigen; doch die Verbindung kam nicht zustande. Sie musste sich natürlich dafür rechtfertigen, dass sie ein anderen Medikament herausgab. »Es ist schlimm«, sagte meine Zahnärztin über die verlangte Administration. »Es ist ganz schlimm«, sagte die Apothekerin. Sogar der Chef des Campingplatzes in Thonon am Genfersee beklagte sich über den Verwaltungsaufwand. Ist vielleicht ein internationales Problem.

Früher sprach man über das papierlose Büro und schaffte mehr Daten heran als je zuvor zur Papierzeit. Eine Zukunft wurde sich ausgemalt, in der alles reibungslos und elektronisch und lautlos funktionieren würde, doch es klemmt an allen Ecken und Enden. Ob die Proteste helfen? Von Vereinfachung (der Gesetze, der Steuern) wird seit Jahrzehnten gesprochen, doch es wurde nie etwas daraus. Alle hängen in ihrer speziellen Blase fest, alle wollen etwas verkaufen, alles ist wahnsinnig wichtig, alles dreht sich wie rasend im Kreis. Es geht den Leuten um Wohlstand und Selbstverwirklichung.

In anderen Feldern wird emsig über Inlusion und das Gendern diskutiert, um Correctnesse, und jeder möchte »correcter« als der andere sein. Da geht viel Zeit drauf, es ist wie eine Seuche und eine Variante der Wahnsinns-Administration. Es ist versteckte Gewalt, auf die sich die Leute freudig einlassen; sie machen mit. Es geht anscheinend nurmehr ums Drumherum, um das Wie.

Wir haben den Blick von außen aufs Ganze vergessen: Worum geht es, was hält die Gesellschaft zusammen? Der Nihilismus führt zu Krisen und zu Chaos. Zudem sind hinter den Kulissen große Apparate am Werk, die sich dem Zugriff des Einzelnen entziehen. Niemand kann etwas bewegen; es scheint, als laufe alles nach einem Plan ab, der allerdings nicht göttlich ist.

Wir müssen wohl abwarten, bis dieses hochgezüchtete, abstrakte Gesundheitssystem von unten her (durch Personalmangel) derart ausgedünnt wird, dass die hauptsächlichen Aufgaben nicht mehr bewältigt werden können. Dann muss man sich entscheiden: dokumentieren oder therapieren; aufschreiben oder beim Patienten bleiben. Sonst heißt es: Dokumentation gelungen, Patient tot. Und zur Kunst sagt Adorno: Wenn sie alles richtig machen will, ist sie falsch und nicht mehr Kunst. Alles wird korrekt sein, aber steril. Irgendwelche Kräfte wollen das.

 

Die Kommentarfunktion ist derzeit geschlossen.